Das Land zwischen den Meeren
Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Señora.«
Dorothea richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihren Gesprächspartner, ließ sich nicht im Geringsten von den vernichtenden Worten dieses dicklichen und schwitzenden Mannes mit dem schlecht sitzenden Hemdkragen beeindrucken. Sie wusste, dass es allein von ihrem Geschick abhing, ob ihre Schützlinge ihr Zuhause und eine vielversprechende Zukunft zurückerhielten. Ein Sonnenstrahl fiel durch das vergitterte Fenster, traf ihre Wange. Voller Zuversicht lächelte sie ihrem Gegenüber zu.
»Ich bin die Schirmherrin der Casa Santa Maria, und die jungen Frauen stehen unter meinem persönlichen Schutz. Die Vorwürfe, die Sie soeben anführten, werter Señor Presidente Policía, entbehren jeglicher Grundlage. Dafür bürge ich mit meinem Namen.«
Cesar Morales y Sola starrte Dorothea mit offenem Mund an. Er zog ein fleckiges Taschentuch aus der Weste und wischte sich über den kahlen Schädel, blätterte demonstrativ durch die Seiten eines dicken Heftes.
»Sie irren, Señora, hier sind die Beweise. Die mir vorliegende Anzeige ist absolut hieb- und stichfest. Ähm … wie war gleich Ihr Name?
»Dorothea Ramirez.«
Der Polizeipräsident kratzte sich hinter dem Ohr und dachte laut nach. »Ramirez … Ramirez … Ich hatte vor geraumer Zeit mit einem Pedro Ramirez Garrido zu tun, es ging um den Verkauf eines Stückchen Landes, das ein Freund von mir geerbt hatte.«
Dorothea nickte unverändert freundlich. »Mein Schwiegervater.«
Cesar Morales y Sola schluckte schwer, rückte mit flatternden Händen seinen Kneifer gerade. »Werte Señora, ich konnte ja nicht wissen, nicht ahnen … Dann sind Sie also die Schwiegertochter des Besitzers … vielmehr, die Gattin des künftigen Eigners der Hacienda Margarita?«
»So ist es.«
Auf der Stirn des Polizeipräsidenten hatten sich Schweißtropfen gebildet, die er sich mit hastigen Bewegungen abtupfte. »Aber gnädigste Señora, Sie haben vollkommen recht. Natürlich handelt es sich um eine Verleumdung. Und zwar um eine übelster Art. Tja, wenn man sich nicht um alles selbst kümmert … Ein übereifriger Beamter, Sie verstehen? Will sich bei mir als seinem neuen Chef profilieren und schießt weit übers Ziel hinaus. Aber ich versichere Ihnen, das wird Konsequenzen für den Mann haben.«
Dorothea nickte mit stillem Lächeln und ließ sich ihre Genugtuung nicht anmerken.
Der Polizeipräsident fuchtelte mit dem Taschentuch in der Luft herum. »Selbstverständlich ist die Casa Santa Maria mit sofortiger Wirkung freigegeben. Ich mache den Schutz dieses Hauses und die Sicherheit seiner Bewohnerinnen zu meiner persönlichen Angelegenheit. Sie können sich auf mich verlassen, werteste Señora Ramirez! So wahr ich Cesar Morales y Sola heiße.«
Dorothea erhob sich mit einem maliziösen Lächeln. »Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung, Señor Presidente Policía.«
Der Polizeipräsident erhob sich aus seinem Ledersessel und reichte Dorothea die Hand, vollführte dabei eine tiefe Verbeugung. »Leben Sie wohl, Señora Ramirez. Es hat mich außerordentlich gefreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Und richten Sie bitte Ihrem Herrn Schwiegervater, dem ehrenwerten Don Pedro, meine besten Empfehlungen aus.«
Am Parque Central mietete Dorothea eine Droschke und kostete für einen winzigen Augenblick ihren soeben erzielten Erfolg aus. Sie lehnte sich auf dem bequemen Sitz zurück, atmete tief durch und schloss die Augen. Und während der Kutscher sein Pferd über die holprigen Wege lenkte, setzte sie ihre Gedanken an das Wunder des Wiedersehens fort, die sie durch den Besuch im Polizeipräsidium hatte unterbrechen müssen.
Schauer liefen ihr über den Rücken bei der Erinnerung an die vergangenen Stunden, die sie immer noch ganz erfüllten und deren Feuer sie in ihrem Innern bewahren wollte wie einen kostbaren Schatz. Sie musste plötzlich an Elisabeth denken, die kluge, vorausschauende Elisabeth. Noch am gleichen Tag wollte sie ihr einen langen Brief schreiben und Abbitte tun. Denn unverhofft war genau das eingetreten, was die Freundin bei der letzten Begegnung vorgeschlagen hatte. Dass sie mit Antonios Geld ihr eigenes Leben gestalten und sich nebenbei noch einen Mann fürs Herz zulegen solle. Elisabeth hatte recht gehabt, und sie, Dorothea, hatte es seinerzeit nur nicht erkannt.
Vor dem Eingangstor zur Hacienda Margarita ließ sie sich absetzen und eilte über den gewundenen Weg zwischen Hibiskussträuchern hindurch zu dem weißen
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