Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
denen die Zahlung der Einschreibe- und Studiengebühren erlassen war. Für Miete und Essen aber musste er selbst aufkommen, und dafür reichten die wenigen Taler, die seine Mutter für ihn erübrigen konnte, nie aus. Er musste bei den Kaufleuten borgen, und auch Freund Oerthel, der mit ihm nach Leipzig gekommen war und neben ihm im »Haus zu den drei Rosen« in der Peterstraße Nr.2 wohnte, half ihm oft aus. Als dann die Mutter immer weniger und unregelmäßiger zahlen konnte und seine Schulden immer größer wurden, ging es in seinen Briefen nach Hause fast nur noch ums Geld. »Ich hab’ Ihnen neulich um Geld geschrieben, und da hab’ ich schon viel geborgt gehabt« , heißt es zum Beispiel am 1. Dezember 1781. »Jetzt hab’ ich noch immer keines, ich borg’ also immer fort. Aber auf was soll ich denn endlich warten? Seien Sie so gütig und verschaffen Sie mir Rat. Ich muss doch essen und kann nicht unaufhörlich beim Trakteur borgen. Ich muss einheizen, wo soll ich aber Holz bekommen ohne Geld? Ich kann ja nicht erfrieren. Für meine Gesundheit kann ich überhaupt nicht sorgen, ich habe weder morgens noch abends etwas Warmes.« Und so oder so ähnlich ging es in fast jedem Brief.
Aber die Pfarrerswitwe Rosine Richter, die auch die jüngeren Söhne durchzubringen hatte, war selbst in Nöten, seit ihr Vater, der Hofer Tuchmachermeister Johann Kuhn, der sie immer etwas unterstützt hatte, im Vorjahr gestorben war. Zwar hatte er ihr ein Haus in der Klostergasse hinterlassen, aber die Verwandtschaft hatte die Rechtmäßigkeit des Erbes angefochten, und die Kosten der darum geführten Prozesse zehrten die Erbschaft fast auf. Um die Schulden ihres verstorbenen Mannes abzutragen und ihren Ältesten in Leipzig unterstützen zu können, verschuldete sie sich selbst. Auch wurde ihr das Pfarrhaus in Schwarzenbach gekündigt, und sie musste nach Hof übersiedeln in das umstrittene, fast schon baufällige Haus. Die zarte, oft kränkelnde Frau, die in ihrer Ehe nur Armut erlebt hatte, versuchte vergeblich, ihre finanzielle Misere durch Spinnen zu bessern. In ein Heft mit der Aufschrift »Was ich ersponnen« trug sie die Spinnpfennige ein.
Abb.8: Gasthof zu den Drei Rosen in Leipzig.
Lithographie von A. Bausch
Richters Studienjahre in Leipzig waren also von Anfang bis Ende von Hunger und Schulden begleitet, was seine Studien kaum behinderte, sein Denken aber diesseitiger, gesellschaftsbezogener werden ließ. In der reichen Handelsstadt in Armut zu leben, also an ihren Reizen und Annehmlichkeiten nicht teilhaben zu können, hieß auch, sich der Armut stärker bewusst zu werden, an sozialer Erkenntnis reicher zu sein. Allen Elends ungeachtet, blieb sein Selbstbewusstsein immer erhalten, denn er wusste, dass der Weg, den er eingeschlagen hatte, der einzig richtige für ihn war. Zum Schutz gegen Minderwertigkeitsgefühle entwickelte er in sich eine Missachtung derer, die das soziale Elend nicht teilen mussten, und diese Verachtung schlug sich wenig später auch schriftlich nieder in Satire und Spott. Die Professoren, einige von ihm verehrte ausgenommen, schienen ihm Narren, die meisten Studenten Kriecher, Schmeichler oder Karrieristen zu sein. Am meisten verhasst aber waren ihm die Stutzer, über die er schon im September 1781 an den Pfarrer Vogel schrieb: »Die Mode ist hier der Tyrann, unter dem sich alles beugt. … Die Stutzer bedecken die Straße, bei schönen Tagen flattern sie herum wie die Schmetterlinge. Einer gleicht dem andern; sie sind wie Puppen im Marionettenspiele, und keiner hat das Herz, er selbst zu sein. Das Herrchen gaukelt hier von Toilette zu Toilette, von Assemblee zu Assemblee, stiehlt überall ein paar Torheiten mit weg, lacht und weint wie’s dem andern beliebt, nährt die Gesellschaft von den Unverdaulichkeiten, die er in einer andern eingesammelt hat. Und beschäftigt seinen Körper mit Essen und seine Seele mit Nichtstun, bis er ermüdet einschläft. Wen nicht seine Armut zwingt, klug zu sein, der wird in Leipzig der Narr, den ich geschildert habe. Die meisten reichen Studenten sind dieses.«
Verächtlich waren ihm auch jene Studenten, denen es nicht wie ihm um Wissenserwerb, sondern um Broterwerb ging. Nicht des Geldes, sondern nur der Wahrheitsfindung wegen müsse man der Wissenschaft leben, »ihr jede Kraft, jedes Vergnügen, jeden Augenblick aufopfern« , ließ er den Pfarrer Vogel wissen. Er selbst werde sich nie von einem Gönner einige »Brosamen erkriechen« , nie also ein Schmeichler
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