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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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stellte sich heraus, dass Valerie inzwischen Vegetarierin geworden war. Und das zu einer Zeit, in der es praktisch niemanden gab, der kein Fleisch aß. Diese Tatsache schockierte meine Mutter ebenso wie andere Angewohnheiten von Dickersons.
    »Manche Leute meinen, die Amerikaner äßen zu viel Fleisch«, bemerkte mein Vater – es war erstaunlich, so etwas aus dem Mund eines Farmers zu hören, auch wenn er hauptsächlich Feldfrüchte anbaute. Mein Vater legte durchaus Wert auf sein Steak, aber er war geistig sehr aufgeschlossen, wohingegen meiner Mutter alles suspekt war, was sich von unserer Lebensweise unterschied.
    »Dana scheint mir ein sehr intelligentes Mädchen zu sein, meinst du nicht auch, Edwin?«, äußerte sich meine Mutter, als die Familie Dickerson in Vals fantastischem Wagen davonfuhr, einem Chevrolet Bel Air mit Heckflossen, in dem man eigentlich einen Filmstar mit Chauffeur erwartet hätte. Dann berichtete meine Mutter, meine Geburtstagsschwester habe in diesem Jahr den Buchstabier-Wettbewerb ihrer Schule gewonnen und nehme an einem Forschungsprojekt des Jugend-Naturclubs teil, bei dem man sich mit Hühnern beschäftigte.
    »Vielleicht solltest du diesem Club auch beitreten«, meinte meine Mutter.
    Solche Bemerkungen – und von denen gab es viele – trugen zweifellos dazu bei, dass ich Dana schon von Kind auf ablehnte. In meiner Kindheit und Jugend wurden meine eigene Entwicklung und meine Leistungen unentwegt an ihr gemessen. Und dabei konnte ich nur verlieren, von der Körpergröße einmal abgesehen.
    Da wir nicht regelmäßig mit Dickersons in Kontakt standen, wussten wir nicht immer Bescheid über Danas Fortschritte, doch dann behalf sich meine Mutter mit Mutmaßungen. Als ich Fahrradfahren lernte, äußerte sie: »Ich frage mich, ob Dana das schon kann.« Als ich meine erste Periode bekam – früh, kurz nach meinem zwölften Geburtstag –, überlegte sie, ob es wohl bei Dana auch schon so weit sei. An meinem – und Danas – Geburtstag bekam ich einmal Briefpapier mit Lilienmuster von meiner Mutter geschenkt. »Damit kannst du Briefe an Dana schreiben«, sagte sie dazu. »Ihr beide solltet eine Brieffreundschaft pflegen.«
    Das Briefpapier blieb unbenutzt. Wenn es ein Mädchen auf der Welt gab, mit dem ich keinen Briefkontakt haben wollte, dann war es Dana Dickerson. Wir beide hatten ebenso wenig gemein wie unsere Familien.
    Doch ein Mitglied dieser Familie interessierte mich tatsächlich: Danas Bruder Ray, der vier Jahre älter war als sie und ich. Ray war groß und so feingliedrig wie seine Mutter, und obwohl er nicht so hübsch war wie die Jungs aus dem Fernsehen (Wally Cleaver und seine großen Brüder in Meine drei Söhne oder Ricky Nelson), wurde mir immer ganz heiß, wenn ich ihn ansah. Seine blauen Augen wirkten, als wolle er gleich lachen oder weinen – womit ich wahrscheinlich sagen will, dass sie stets so gefühlvoll schienen –, und er hatte sehr lange, dichte Wimpern.
    Ray hatte eine umwerfende Wirkung, sobald er einen Raum betrat. Das lag nicht nur an seinem Äußeren, sondern auch an seiner verrückten Ausstrahlung und all seinen lustigen und verblüffenden Ideen. Er machte Dinge, auf die keiner außer ihm kam, wie zum Beispiel ein Floß aus alten Benzinfässern zu bauen und damit zum Beard’s Creek zu fahren – wo es dann im Schlamm stecken blieb – oder, angetan mit einem Umhang, den er offenbar selbst genäht hatte, Zauberkunststücke vorzuführen. Er hatte sich selbst das Bauchreden beigebracht und ließ einmal an unserem Verkaufsstand zwei Kürbisse miteinander sprechen, ohne dabei die Lippen zu bewegen. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, brachte er aus meinem Ohr einen Silberdollar zum Vorschein, worauf ich die nächsten Tage versuchte, dem Ohr weitere Gegenstände zu entlocken – natürlich erfolglos.
    Eines Tages bastelte Ray sich aus ein paar alten Radteilen vom Müllplatz ein Einrad. So war er. Während die anderen Jungen sich mit Ballsport abgaben, radelte Ray auf seiner selbst gebauten Gerätschaft durch die Stadt und spielte dabei Mundharmonika.
    Irgendwann versuchte er, seiner Schwester das Einradfahren beizubringen, aber Dana stürzte dabei so schlimm, dass sie danach den Arm in einer Schlinge trug. Man hätte annehmen können, dass Mrs Dickerson das Ding nun konfisziert oder sich zumindest Sorgen gemacht hätte. Doch der Vorfall schien sie nicht weiter zu beunruhigen; dafür regte meine Mutter sich maßlos darüber auf.
    Val Dickerson schien

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