Das Leben Findet Heute Statt
Weisheit auf – auch für das Leben draußen. Wir schöpfen dabei aus der Inspiration des heiligen Franziskus von Assisi, der unseren Orden gegründet hat. Seine Zeit, das 13. Jahrhundert, war von Machtkämpfen kirchlicher und weltlicher Gruppenkämpfe bestimmt. Franziskus setzte in dieser Situation auf gelebte Brüderlichkeit unter den Menschen. Das Geld spielte zunehmend eine vorherrschende Rolle, weil der innereuropäische Warenhandel zu blühen begann. Franziskus dagegen lebte freiwillig in großer Einfachheit, weil er fand, dass der Vorrang materieller Güter die Brüderlichkeit zerstöre. Statt sich auf die gängigen Glückskonzepte seiner Zeit zu beziehen, lernte er ganz neu von der alten Botschaft des Evangeliums. Er fand darin so etwas wie die Ursprache aller Menschen. Die wollte er lernen. Die wollte er leben.
Er lebte das einfache Menschsein so überzeugend, dass sich bald Tausende von Männern und Frauen fanden, die es so machen wollten wie er. Wir Kapuziner verstehen uns auch als direkte Nachfolger des Heiligen von Assisi. Wir sehen ihn weniger als den Tierliebhaber oder als den, der sich im Sonnengesang als Naturliebhaber erweist. Er ist für uns vielmehr einer, der wegen seines neuen Umgangs mit Gott und den Menschen ein wichtiger Kritiker seiner Zeit war. Als seine Brüder, die heute leben, lernen wir von ihm, einfach mit Gott und unseren Mitmenschen zu sein.
Unsere Klöster atmen zudem den Geist der Lebenseinstellung des heiligen Franziskus. Während ich Ihnen die Pforte, den Essraum oder unsere Küche zeige, werde ich Ihnen noch davon erzählen. Sie werden kennenlernen, was einen Kapuziner in seinem Kloster bewegt und wie er auf die Gesellschaft schaut, inder er ein Mensch des 21. Jahrhunderts ist. Im Spiegel unserer Lebensräume betrachte ich mit Ihnen, was sich in der Welt tut, in der wir leben. Uns werden die Werte begegnen, von denen so viele reden und die doch so wenig gelten. Wir sprechen im Klostergarten über Muße und Wege, wie wir lernen, uns wieder als Teil der Schöpfung sehen zu können. Ich nehme Sie mit in unser Gästezimmer und denke mit Ihnen darüber nach, wie man im Kloster vielleicht zur Ruhe kommen kann, aber dabei auch heilsam beunruhigt wird angesichts der Wirklichkeit dieser Welt.
Dieses Ziel der Beruhigung und gleichzeitig des Aufrüttelns lässt mich mit diesem Buch auf den Marktplatz gehen. Kommen Sie mit. Unser Haus steht Ihnen offen. Besichtigen wir unser Kloster und aus seinem Geist unser Leben und unsere Zeit. Es wartet auf Menschen, die wie Franziskus innehalten und Lösungen für ihre Fragen suchen, finden und in die Tat umsetzen wollen, denn ihm war klar: Das Leben fängt heute an. Treten Sie ein!
1. Die Klosteranlage
«Dürfen Sie fernsehen?» Oder: Die neue Kurzsichtigkeit
Bei einer Klosterführung geht es zu wie im richtigen Leben: Sie dürfen sich erst mal nicht vorstellen, was Sie erwartet. Und weil es erstens immer anders kommt und zweitens als man denkt – pardon, als Mönch sage ich natürlich: als Gott lenkt –, fängt alles mit einer Enttäuschung an. Sie sehen hier keine riesige Abtei. Es wohnen dort auch nicht 60 Männer – oder ein paar weniger. Dort erklingt auch kein großartiger Gesang (obwohl ich selbst gern und, wie andere sagen, gut singe). Das Kloster ist nicht reich. Hier lebt man nicht wie im Mittelalter. Es gibt keinen Kerker. Sie können hier nicht die Vergangenheit erleben. Und ich bin auch nicht von gestern.
Ordensleben ist heute anders, als Sie es in Filmen wie «Leben einer Nonne» oder «Der Name der Rose» sehen. Diese sind erfolgreich, weil uns Vorstellungen von ungezügelter Autorität, asketischer Selbstzerfleischung, organisierter Lebensunlust und geheimen Wünschen, sich Begierden zu erfüllen, faszinieren. Das hat aber mehr mit dem Inneren des Menschen zu tun. Nicht nur ein Kloster ist ein Geheimnis. Wir selbst sind auch eines.
Jetzt fehlt nur noch die Frage: Haben Sie einen Fernseher? Die wird mir tatsächlich gestellt, obwohl mich sogar mancher, der so fragt, selbst im Fernsehen gesehen hat. Die alten Bilder vom Ordensleben haben sich in vielen Köpfen sehr festgesetzt. Da hilft es nicht einmal, wenn man einen Ordensmann mit einereigenen Sendung live erlebt: Auch der wird gefragt, ob es bei ihm daheim einen Fernseher gebe.
Ein anderes Beispiel für schaurige Vorstellungen, die den Blick auf die Wirklichkeit des Klosterlebens trüben: Mir sagte eine Mutter, die während einer meiner Lesungen erfahren
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