Das Leben Findet Heute Statt
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geben im Sommer so viel Geld für Eiscreme aus, wie die betroffenen Länder der Vierten Welt jährlich bräuchten, um allen ihren Kindern zwischen sechs und 15 Jahren ihr Menschenrecht auf schulische Bildung zukommen zu lassen.
Auch für uns in Deutschland hat sich die mörderische Macht des Geldes schon zweifelhaft ausgezahlt: 1990 kommt auf fünf Einkommen aus Arbeit und Sachvermögen nur eines aus Geldvermögen. Fünf Jahre später kommt schon auf vier Arbeitseinkommen eins aus Geldvermögen. Anders ausgedrückt: Vier Arbeiter statt fünf müssen die Zinsen erwirtschaften, die von den Banken an die Besitzer der Geldvermögen ausgezahlt werden. Weggenommen wird es denen, die arbeiten, indem man von ihnen höhere Zinsen verlangt. Da eine Bank aber Geldvermögen überlassen bekommen muss, damit sie es wieder verleihen kann, muss sie die Geldgeber anlocken. Das tut sie mit dem Versprechen höherer Zinsen oder, was gefräßigen Kleinanlegern jetzt den Garaus machte, mit dem Versprechen höherer Renditen, die allesamt bezahlt werden müssen von denen, die noch arbeiten. Und immer weniger Lust dazu haben werden.
Diese abstrakten Zahlen sind Sprengstoff. Zins und Rendite können, wie wir in der Finanzkrise 2008 erlebt haben, ganze Welten zusammenbrechen lassen. Sie stehen in ihrer verheerenden Auswirkung den überquellenden Arsenalen an atomaren, biologischen und chemischen Waffen in nichts nach. In den sauberen Schalterhallen der Banken spricht natürlich niemand von dieser Sprengkraft. Wenn eine Berliner Rentnerin bei denLehmann Brothers ihre 10 000 Euro einfach verloren hat, gibt es kein Bild einer Überwachungskamera. Der Vorfall an sich ist aber ebenso grausam und kriminell, als wäre sie von zwei jungen Männern brutal beraubt worden. Zehntausende von gierigen oder einfach gutgläubigen Anlegern sind auf diese Weise von gierigen oder schlecht ausgebildeten Bankern ausgeraubt – oder zumindest den Raubtieren vorgeworfen worden.
Die Rede vom Geld, das man für einen arbeiten lasse, hat sich endgültig als Unsinn erwiesen. Gewusst hat es jeder schon vorher: Noch niemand hat je Geld bei der Arbeit gesehen. Darum ist es wohl auch jedem klarzumachen, dass derjenige, der Geld gibt und davon spricht, er würde es arbeiten lassen, immer andere Menschen für sich arbeiten lässt. Jetzt wird vielleicht noch deutlicher, warum es Franziskusbrüder waren, die am Beginn der kommunalen Sparkassen aktiv waren. Wer Geld gibt, lässt andere für den Zins tätig werden. Damit das nicht ausgenutzt wird, kümmert sich die örtliche Gemeinschaft darum, dass die oben beschriebenen Prinzipien eingehalten werden.
Die weltweite Finanzkrise hat so manchen wachgerüttelt. Leider nur jene, die wirklich etwas verloren haben. Auch da fehlen die Bilder, die zeigen können, was es bedeutet, wenn in Amerika 330 000 Eigenheime beschlagnahmt oder zumindest mit der Androhung der Zwangsvollstreckung belegt werden und in Frankfurt allein bei den Sparkassen über 5 000 Kunden ihr ganzes Vermögen einfach verloren haben. Es fällt kein Hochhaus zusammen – also kann es nicht so schlimm sein.
So langsam verlieren wir die Orientierung in einer tödlichen Bedrohung. Und wir haben keine Ahnung mehr, wie wir da wieder rauskommen. Genau da aber steckt die Chance. Jetzt kommt die Zeit, in der die Propheten gehört werden können. Wir könnten schon längst wissen, dass wir alle zwei Sekunden einKind ermorden, so der Schweizer Jean Ziegler, der von 2002 bis 2008 der U N-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung war. Aber dann müssten wir uns damit beschäftigen, wie wir das machen und was wir dagegen tun müssen. Grundsätzlich. Global. Entschieden.
So aber reden wir lieber von Begriffen, die wir nicht verstehen, und lassen uns erklären, dass schon etwas zu finden sei, damit alles so bleiben kann, so schlecht, wie es war. Etwa derart: Aha, Finanzkrise, das ist es, jetzt wissen wir, worum es geht. Was tun wir? Wir beruhigen die Märkte, verschärfen die Regeln, und der Staat hilft aus. So machen wir es. Außerdem pumpen wir aus den Steuergeldern wieder Geld in die Banken, frei nach dem Motto: Das Auto ist zwar kaputt, aber wir könnten es ja noch einmal tanken. Dadurch gewinnen wir das Vertrauen zurück. Oder: Aha, Klimawandel, gut. Wir einigen uns auf zwei C plus bis 2050, nur die Chinesen müssen noch zustimmen. Ob so etwas Vertrauen schafft?
Esoteriker berauschen sich weltweit an der
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