Das Leben Findet Heute Statt
Handelns stellt. Die Ärzte müssen zu ihrer Grundaufgabe zurückfinden, dem Menschen in der Krankheit ein Begleiter zu sein. Sie sind dafür sehr unterschiedlich begabt und sollten ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden. Die Pflegenden sollten die Kompetenz zurückerhalten, nach ihrem Gespür den Patienten Raum zu schaffen für den Heilungsprozess. Jede Station darf somit anders aussehen.
Dafür braucht Deutschland aber ein neues Vertrauen in Akteure, denen am Gemeinwohl gelegen ist. Doch genau daran ist unsere Gesellschaft erkrankt: Wir glauben gar nicht mehr, dass alle daran interessiert sind, dass es allen gutgeht. Jeder, so entnehmen wir der Atmosphäre, die uns umgibt, will ja doch nur mit der Krankheit sein Schnäppchen machen. Allein die Zahl von 370 Krankenkassen in Deutschland muss uns zu denken geben.
Doch sind die Schnäppchenjäger auch an der Basis. Neben den vielen, die sich begründet krankschreiben lassen müssen, gibt es auch solche, die immer mal wieder versuchen, ohne Grund an den gelben Schein zu kommen. Es wird schon keiner nachfragen, was ich habe. Dies von einem Arzt zu fordern und auch noch einen Arzt zu finden, der das mitmacht, zeigt, dass Misstrauen nicht unbegründet ist.
Die Weltgesundheitsorganisation definiert: «Gesundheit ist der Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht die bloße Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen.» Wer seinen Arbeitgeber betrügt oder einen Menschen unterstützt beim Betrügen, ist in seinem geistigen und sozialen Wohlbefinden gestört; vielleicht noch nicht er selbst, aber die anderen auf jeden Fall, da die für diesen Betrug aufkommen müssen.
Wir sind krank an Misstrauen. Kein Kontrollsystem kann sogut sein, dass es die letzten Winkel des menschlichen Herzens erfasst. Eine Gemeinschaft ist so gut, wie es den Kranken in ihr geht. Wenn sie leben will, muss sie mit denen leben wollen, die jetzt krank sind. Das Leben fängt nicht erst an, wenn alles so perfektioniert ist, dass niemand mehr krank sein muss. Gott bewahre uns davor! Leben heißt: Gesundheit und Krankheit als Aufgabe anzusehen, die uns zusammenführt. Jeden trifft es. So oder so. Hauptsache, wir vergessen dabei nicht, dass jede Minute davon echtes Leben ist. Damit können wir heute schon anfangen.
19. Die Armenstube
«Jeder muss eben für sich selbst sorgen.» Oder: Bedürfnisse artikulieren
Am Ende unserer Besichtigung sind wir wieder an der Pforte angekommen und sehen hier den Gastraum für die Armen. Vier Betten stehen bereit. Eine Duschgelegenheit, Tisch und Stühle ergänzen das Angebot für die Durchwanderer und Obdachlosen, die bei uns anklopfen. Einen Schrank gibt es nicht, da wir diese Gäste in der Regel für maximal drei Tage aufnehmen. In dieser Zeit finden wir mit ihnen – wenn sie wollen – einen Platz, an dem sie länger bleiben können.
Zu allen Zeiten waren Klöster Zufluchtsorte für Menschen, die ihre Heimat verloren hatten. Die großen hatten eigene Hospize, in denen sie für eine gewisse Zeit Obdach anbieten konnten. Dort hielten sie auch Plätze für die Pilger bereit, die zu den großen Wallfahrtsorten unterwegs waren. Besonders in den Armen, so legt es die Regel des heiligen Benedikt fest, solle man Jesus Christus empfangen. Jeder Gast sei ein Botschafter Christi. Darum sei ihm mit Ehrfurcht zu begegnen.
Franziskus ging das nicht weit genug. Er wollte den Armen nicht nur etwas abgeben, denn es ging ihm weniger um die Hilfestellung, die ja die Botschaft mitbringt: Ich habe etwas, was du auch haben solltest. Er wollte mehr tun und fand eine neue Einstellung zu den Bedürftigen. Ihm ging ein Aspekt des Lebens Jesu auf, der bis dahin noch von keinem anderen Menschen derart radikal umgesetzt worden war: Jesus und seine Jünger hattenin ihrer Zeit an die nomadische Existenz vieler Prophetengruppen des Volks Israels angeknüpft. Jesus selbst hatte nichts, womit er seine materielle Existenz sicherte. Nur auf Gott gestützt, wurde er aber zu einem glaubwürdigen Hinweiszeichen auf seinen Vater im Himmel.
Franziskus sah, dass Jesus dies auch von seinen Jüngern verlangte. Sie sollten alles verlassen: das Haus, die Familie, alles, was sie hatten. Von Jesus heißt es ausdrücklich, dass er nichts hatte, worauf er sein Haupt legen konnte. Er und seine Jünger bildeten eine prophetische Gruppe, die schon durch ihre Lebensweise zu einer fragwürdigen Gruppierung wurde – im besten Sinne des Wortes. Die Antwort Jesu
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