Das Leben in 38 Tagen
kennen gelernt hatten. Hoch erfreut teilten sie uns in gebrochenem
Deutsch mit, dass sie eine gute Unterkunft gleich hinter dem Gemeindeamt
gefunden hätten, wo noch Betten frei wären. Auf genaueres Nachfragen stellte
sich heraus, dass die Holländerin die einzige weibliche Person dort war und sie
mit mir auf Verstärkung hoffte. Im Vertrauen auf die Holländer versprachen wir,
nach unserem Kaffeetrinken und Stempelholen uns dort zu melden, nicht ahnend,
was uns dort erwartete!
Die
gelobte Unterkunft stellte sich als kostenlose Gemeindeherberge heraus und so
sah sie auch aus. Durch einen Hintereingang gleich neben den öffentlichen
Toiletten gelangte man in einen großen Raum mit drei Doppelstockbetten und zwei
alten Liegen, ohne Fenster. Etwas Licht gelangte durch die Tür und die dicken
Milchglasscheiben im oberen Teil der Außenwand hinein. Die Betten waren mit
schmutzigen Laken bezogen und sahen sehr benutzt aus. Eine Wäscheleine mit
einigen wahrscheinlich vergessenen Wäschestücken hing mitten im Raum. In der
Mitte stand ein Tisch mit ein paar Stühlen; alles sah aus, als wäre hier schon
seit längerem nicht mehr gereinigt worden. Am schlimmsten aber war der muffige,
schimmlige Geruch, der sich noch verstärkte, wenn man die zwei Duschen benutzen
wollte. Kein Fenster, keine Lüftung und alles nass; der Fußpilz lachte mich
schon an! Und wir waren total durchgeschwitzt und brauchten dringend eine
Dusche!
Auf
der Toilette fehlte die Klobrille; in meiner Verzweiflung versuchte ich es auf
den öffentlichen Toiletten nebenan, aber die waren noch schmutziger! Martin
fand das alles nicht so schlimm und die anwesenden Männer bereiteten mich
sarkastisch auf viel schlechtere Herbergen vor. Na, ich wollte nicht gleich am
Anfang aufgeben, obwohl ich den Tränen nahe war! Also Augen zu und durch! Wenn
das die anderen nicht so schlimm fanden, wollte ich auch nicht so zimperlich
sein! Schließlich fand die Holländerin die Unterkunft sogar gut!
Beim
Duschen versuchte ich so wenig wie möglich mit dem Vorhang und dem Boden in
Berührung zu kommen sowie mich auf engstem Raum anzuziehen, ohne dabei die
frischen Sachen nass zu machen. Diese Kunst erlernte ich im Laufe meiner Reise
immer besser. Wie gut, dass ich auf Hape gehört und
Badelatschen mitgenommen hatte!
Im
kleinen Handwaschbecken wuschen wir danach unsere Kleidung durch und hängten
sie auf eine Leine vor dem Hingang. Als die Sonne uns dann sogar noch ein paar
Strahlen schickte, fühlten wir uns schon wieder etwas besser. Die anderen
Pilger kamen aus Deutschland und Norwegen, jeweils zwei Männer. Wir stellten
Tisch und Stühle vor die Tür und gleich machten einige Flaschen Rotwein die
Runde. So konnte man das Pilgerleben aushalten. Wir lernten uns kennen und
lachten viel. Ich wollte mit meinen Tagebuchaufzeichnungen beginnen, aber die
Männer machten sich einen Spaß daraus, mich daran zu hindern. Dabei tat sich
besonders Wilfried aus Bremen hervor, ein lustiger Endfünfziger, der den Weg
schon zum vierten Mal gehen wollte. Das erste Mal war er mit seiner Frau gestartet,
aber die bekam solche Probleme mit den Füßen, dass sie nach etwa 200 Kilometern
aufgeben musste! Seitdem hatte sie es nicht wieder probiert. Ich hörte genau
zu. Immerhin hatte sie es bis Viana geschafft. Das sollte nun auch mein erstes
großes Ziel sein! Viana!
Wilfried
erklärte uns, dass ihn der Pilgervirus gepackt hätte und er den Weg immer
wieder laufen würde. Es wäre jedes Mal so ein tolles Erlebnis und ich würde es
bestimmt auch bis Santiago schaffen!
Durch
den Wein, die netten Leute und das anschließende gemeinsame Abendessen in einer
kleinen Gaststätte hatte sich meine Laune deutlich gebessert. Als wir wieder in
unserer Unterkunft ankamen, fand ich alles nur noch halb so schlimm, obwohl wir
noch eine unliebsame Überraschung fanden. In einem kleinen Nebenraum stapelte
sich die schmutzige Wäsche bis zur Decke! Ich war froh, dass wir hier nur eine
Nacht zubringen mussten.
Leider
konnte man in der Nacht kein Fenster und keine Tür öffnen; während die Männer
gleich mit Schnarchen anfingen, konnte ich wieder lange nicht einschlafen. Aber
trotz des schlechten Geruches und des Schnarchkonzertes war es ein gutes Gefühl, Martin im Bett unter mir zu wissen und den sauberen
Schlafsack um den Körper zu spüren. Also schon das zweite Wunder des Tages:
Auch an schlechten Umständen lässt sich etwas Gutes finden! Man kann lernen,
auch ohne Klobrille und in unsauberer Umgebung
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