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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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waren jetzt doppelt froh, hier
geblieben zu sein.
    Nun
konnte man zusehen, wie schnell die Räume sich füllten und alle Betten belegt
wurden. Neben mir ließ sich eine freundliche Kanadierin namens Debbie nieder,
eine Blondine, etwas jünger als ich, ein deutsches und ein französisches
Ehepaar breiteten ihre Sachen aus, die zwei Norweger von gestern trudelten ein,
Wortfetzen aus allen möglichen Sprachen konnte man hören. Und alle machten
einen erschöpften, aber zufriedenen Eindruck. Wir lernten einen 77-jährigen
Belgier kennen, der die gesamte Strecke allein und mit einem zwanzig Kilo
schweren Rucksack laufen wollte. Seine Frau hatte es gut gemeint und ihm recht
viele Sachen zum Wechseln mitgegeben. Außerdem schien er reichlich Proviant
dabei zu haben. Er war klein und schmächtig und lachte und erzählte immer. Ich
war gespannt, ob er es schaffen würde.
    Am
Abend gab es das erste Pilgermenü in den beiden Gaststätten für acht Euro. Wir
schienen uns für die richtige Gaststätte entschieden zu haben, denn wir saßen
alle an einem runden Tisch. Martin und ich waren die einzigen Deutschen, was
wir beide sehr schön fanden; ich, weil ich mein Englisch verbessern wollte, und
Martin, weil er sehr global eingestellt ist. Er mag Ausländer, weil sie oft
lockerer und fröhlicher sind, und ist deshalb auch freiwillig in das Multi-Kulti-Viertel Berlin-Kreuzberg gezogen.
    Also
verspeisten wir in fröhlicher Runde unser Drei-Gänge-Pilgermenü, bestehend aus
einem großen bunten Salatteller, gebackener Forelle (auf Spanisch: trucha ) und Pommes sowie einem Joghurt als Nachtisch. Im
Preis inbegriffen waren zu unserer Freude Rotwein und Wasser. Mary aus San
Francisco, kräftig, mittleres Alter und mit langen, glatten Haaren, erzählte
uns, dass sie einen deutschen Freund habe, der Bäcker sei, und dabei schwärmte
sie von dem guten deutschen Gebäck. Sie dachte darüber nach, später mal nach
Deutschland zu ziehen. Ich fand, dass das richtig zu ihr passte, aber ob sie
den Weg schaffen würde? Wer von den Franzosen, Italienern, Holländern,
Norwegern, Briten, Amerikanern und Kanadiern, die an diesem Tisch saßen, würde
wohl den ganzen Weg schaffen? Alle hatten ein großes Ziel: Santiago de
Compostela. Würde ich es schaffen?
    Um
20.00 Uhr begann die Pilgermesse und so eilten fast alle durch den Regen in die
Kirche. Martin wollte absolut nicht mitgehen und ich ließ ihn sein Bierchen
trinken. Die Kirche erschien mir sehr dunkel im Vergleich zu den deutschen
Kirchen. Ich glaube, es brannten nur Kerzen. Trotzdem erstrahlte der Altarraum
in goldenem Glanz. Die Luft war von Weihrauch erfüllt und mehrere ausnahmslos
ältere Mönche zelebrierten die Messe in spanischer Sprache. Ich verstand kein
Wort, aber als ich in die leuchtenden Augen meiner Mitpilger blickte, erfüllte
mich eine feierliche Andacht. Ich hatte plötzlich das sichere Gefühl, genau
hier in diesem Augenblick an der richtigen Stelle zu sein. Es gab nichts
Wichtigeres auf der Welt für mich in diesem Moment.
    Am
Ende des Gottesdienstes bat uns ein kleiner, freundlicher Mönch nach vom in
einen Halbkreis und erteilte uns den Pilgersegen in verschiedenen Sprachen. Man
spürte die herzliche Überzeugung in der Stimme und in den blitzenden dunklen
Augen des braunhaarigen Mannes, als er uns in Deutsch dem Schutz des heiligen
Jakobus empfahl und uns die Kraft wünschte, Santiago zu erreichen. Eine tiefe
innere Ruhe erfasste mich nun und bestärkte mich in dem Glauben, dass dies
genau der richtige Weg für mich war. Schade, dass Martin das nicht erleben
wollte, aber er würde auch seinen Weg finden. Da war ich mir sicher.
    Als
ich am Abend dieses Tages in meinem Schlafsack lag, empfand ich zum ersten Mal
ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass ich die Möglichkeit hatte,
diesen Weg zu gehen, Dankbarkeit, dass wir alle gesund waren, Dankbarkeit, dass
unsere Söhne so wunderbare Menschen waren, einer davon mir das Buch von Hape Kerkeling geschenkt hatte und der andere mich ein
Stück begleiten konnte. Dies empfand ich wirklich als großes Glück. Das
Schnarchen des alten Belgiers und des Franzosen unter mir vermochten mich heute
kaum zu stören.
    Am
nächsten Morgen regnete es noch immer. Wir ließen die anderen wieder ziehen und
hofften, dass der Regen nachlassen würde. Während die meisten ihren
mitgebrachten Proviant gegessen hatten, wollten wir nicht ohne einen Kaffee
losgehen; so kehrten wir in einer der beiden Gaststätten ein und siehe da, es
gab

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