Das Leben macht Geschenke, die es als Problem verpackt
mit unserem fünfzehnjährigen Sohn, der offensichtlich zu viel trinkt. Mein Arzt empfahl mir ein paar Stunden bei einem Psychotherapeuten. Zuerst wehrte ich mich gegen diesen Vorschlag, weil ich ja nicht verrückt bin. Es waren doch nur ein paar Dinge schiefgelaufen in der letzten Zeit. Kein Grund, in Panik zu verfallen.
Doch dann empfahl mir unser Personalleiter, der meine Probleme ansatzweise kannte, einen Therapeuten. Mit dem kam ich gut zurecht, und im Gespräch kamen wir auf die Muster, die man als Grundlage all meiner derzeitigen Probleme ansehen kann. Ich stamme aus einer mittelständischen Unternehmerfamilie, und es war für meinen Vater völlig klar, dass ich nach dem Studium die Geschäfte weiterführe. Also entschied ich mich gegen meinen ursprünglichen Wunsch, nach dem Abi Forstwirtschaft zu studieren.
Dabei war das Arbeiten im und für den Wald und für die Natur immer mein Herzenswunsch. Aber ich beugte mich den Erwartungen und Wünschen meines Vaters: Ich studierte also BWL, und es fiel mir relativ leicht, auch wenn es mich nicht sonderlich interessierte. Kurz vor meiner Diplomprüfung ging die Firma meiner Eltern in die Insolvenz. Also suchte ich mein Glück in der Computerbranche und hatte in den ersten zehn Jahren auch viel Erfolg und verdiente viel Geld – wir machten schöne Urlaube, wohnten in einem tollen Haus – alles war (scheinbar) perfekt.
Dann die erste Arbeitslosigkeit und das Gefühl, dass es langsam, aber sicher bergab ging. Ich kam einfach nicht mehr auf die Füße. Jetzt bin ich dabei, mich neu zu orientieren; nach der Therapie habe ich mich entschieden, mich coachen zu lassen. Ich weiß heute, dass es nicht an meinen Fähigkeiten liegt, dass ich in die Erfolglosigkeit schlitterte. Es war vielmehr die Zielsetzung, die einfach nicht gestimmt hat. Weil ich nicht meinen eigenen Weg gegangen war, sondern die Erwartungen meines Vaters erfüllt und den falschen Beruf gewählt hatte. Jetzt geht es für mich beruflich in Richtung ökologisches Management, und ich habe dazu bereits zwei interessante Angebote. Der Verdienst ist auch nicht besser als in meiner letzten Position, aber jetzt habe ich nicht mehr das Gefühl, dass ich »Schmerzensgeld« für das erhalte, was ich tue. Meine Frau und ich »arbeiten« an unserer Beziehung und bemühen uns um mehr Achtsamkeit. Mit meinem Sohn habe ich regelmäßige »Termine«: Dann gehen wir gemeinsam angeln oder Kanu fahren. Auch ihm geht es schon viel besser. Ich weiß, dass ich jetzt auf einem guten Weg bin, meinem Weg.«
Die Macht der Gewohnheit
Die Macht der Gewohnheit ist nicht zu unterschätzen und im Grunde genommen eine sehr praktische Angelegenheit: Sobald eine Entscheidung ansteht, greift man einfach auf bisherige Erfahrungen oder erlernte Muster zurück. Das gilt gemeinhin als vernünftig, spart Energie und bewahrt die Komfortzone. Mithilfe unseres Verstandes wägen wir die Dinge ab und sortieren sie entsprechend ein. Läuft ein Alltag beispielsweise immer nach einem vertrauten Schema ab, fühlen wir uns am sichersten. Für Kleinkinder hat diese immerwährende Wiederholung durchaus ihre Berechtigung und erfüllt auch ihren Zweck, damit ein Kind in einer noch unübersichtlichen Welt Selbstbewusstsein entwickeln kann. Kindern geben immer wiederkehrende Rituale wie feste Schlafens- oder Essenszeiten und andere Gewohnheiten einen wichtigen Halt.
Haltgeber oder Blockade?
Auch für einen Erwachsenen sind Gewohnheiten durchaus wichtig, da sie gewisse Abläufe ökonomisieren. Allerdings ergibt sich aus einem Mangel an Flexibilität das Risiko, in traditionellen Denkweisen verhaftet zu bleiben, ganz gleich ob diese unsere Weiterentwicklung blockieren oder zu einer Problemlösung beitragen – oder auch nicht. Der Wille und die Fähigkeit, Veränderung zu akzeptieren und bewusst vorzunehmen, schlafen ein. Man lernt nicht, mit neuen Situationen umzugehen und an ihnen zu wachsen. Und man verzichtet, ohne sich dessen bewusst zu sein, auf eine Vielzahl von Möglichkeiten.
Wenn Gewohnheiten fesseln
Einmal ausgetretene Wege werden nur ungern verlassen. Angesichts einer Entscheidung oder in einer kritischen Situation nicht nur auf seinen Kopf, sondern auch auf seine innere Stimme zu hören ist verpönt. So verlernt man, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen. Man ist nicht mehr Herr oder Frau der Lage, obwohl gerade in diesem Moment eine gewisse Wendigkeit erforderlich wäre.
Tatsächlich ist der Mensch ein Gewohnheitstier und neigt dazu, sich
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