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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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nicht mehr, die Bäuerin anzuschauen. Die stand feindselig eingeschüchtert und vergrämt neben dem Jani-Hans und der Resl und sagte nichts mehr. Alle drei waren blaß geworden und schauten halb erstaunt und halb erschreckt auf die Herren. Auf ihren verschlossenen Gesichtern lag eine dumpfe Ergebung, und wahrscheinlich zerbrachen sie sich vergeblich den Kopf darüber, was denn das sei, »Vaterland« und »Krieg«, den doch keiner im ganzen Gau gewollt und der ihnen nichts als Sorge und Schaden gebracht hatte. Ihnen war nur erinnerlich, daß der Pfarrer Aigner jeden Sonntag nach der Predigt ein Totengebet für einen gefallenen Krieger aus der Umgegend sprach, in das sie traurig mit einstimmten. Dabei vergegenwärtigten sie sich, wie gesund und arglos der junge Mensch fortgezogen war.
    Bislang hatten sich alle beim Heimrath stets auf den Kornkaffee, den sie an solchen Sonntagnachmittagen nach der Vesperandacht bekamen, gefreut. Jetzt war das Korn auf einmal rar und teuer geworden. Seither sott die Bäuerin ein braunes, gallebitteres Gebräu aus gedörrten Eicheln, das sogar dann noch nicht schmackhafter wurde, wenn man doppelt soviel Milch und einen Löffel Honig beimischte. Jeder gab dem »schwarzen Peter« recht und allen wurde bang zumute, wenn er sagte: »Diable! Diable! Genau wie anno 12 in Rußland! Bis Moskau war’s das reinste Pläsier, aber dann – zum Grausen! Das Débacle wird kommen. Es kommt! Diable! Diable!«
    »Und wie lang wird’s denn noch dauern?« fragten einige Bauern den Peter. Es war nach dem sonntäglichen Hochamt auf dem Platz zwischen Kirche und Wirtshaus, wo üblicherweise alle noch eine Weile beisammenstanden und sich unterhielten.
    »Wie lang?« rief der Peter laut und bekam dabei eine höhnische Miene: »Kurz oder lang! Jeder wird’s spüren! Alle kommen noch dran!«
    Männer und Weiber schauten einander kurz in die Augen, und der Pfleger von Bachhausen schüttelte bedenklich den Kopf, indem er brummte: »Für was das bloß gut sein soll!«
    »Für uns nicht«, antworteten einige. Es hätten auch alle sein können.
    Einsilbig gingen die Leute auseinander, alle talwärts vom Pfarrort aus, die einen gen Osten oder Westen, andere nach Süden oder Norden, ihren Dörfern zu. Auf den ausgefahrenen Wegen und Fußpfaden schritten sie durch die weiten, hängenden Felder. Auf vielen Getreideäckern standen noch, dichten Strohzelten gleich, die aufgestellten, aneinander gelehnten Bündel, und fast nirgends war man bis jetzt dazugekommen, das Grummet der Wiesen zu mähen.
    »Ist bloß gut, daß sich das Wetter noch hält. Das Gebirg’ hat, Gott sei Dank, einen Schleier«, murmelte ab und zu ein Bauer und schaute verdrießlich über die Flächen hinweg ins Weite. Wie noch einmal so weit weggeschoben verschwammen die Gipfel der fernen Alpen in zartem, milchfarbigem Dunst. In der Nähe aber war die Luft glasklar, kein Windhauch bewegte sie, und jedes Ding, das sie umschloß, ob Feld, ob Wald, ob Hügel oder Haus, erschien dem Auge fast überdeutlich. Nicht ein Wölkchen stand im ausgeblaßten Himmel. In den nahen Laubwäldern roch es nach Herbst, die Blätter hatten sich bereits verfärbt, und nur hin und wieder zirpten da und dort noch einige Vögel schüchtern im Gezweige. Dunkel und stumpf stahlgrau, nicht mehr frischblau wie an sonnigen Sommertagen, schwamm der reglose See im breiten Tal.
    »Der hochwürdige Herr Pfarrer sagt, wenn einer nicht an die Unfehlbarkeit unseres Heiligen Vaters glaubt, begeht er eine Todsünd’ … Wer das anzweifelt, sagt er, der hochwürdige Herr Pfarrer, der ist ein Gottesräuber. Er wird exkommuniziert«, ereiferte sich der Jani-Hans während des Heimgehens, und die Heimraths, die teils neben, teils hinter oder vor ihm gingen, hörten interessiert zu. Weit mehr als der Krieg beschäftigte die Leute des Pfarrsprengels der derzeitige heftige Meinungsstreit innerhalb der katholischen Kirche, welcher dadurch hervorgerufen worden war, daß das seit dem Jahre 69 tagende ökumenische Konzil in Rom die Unfehlbarkeit des Papstes zum Dogma erhoben hatte. Es war schwer zu sagen, warum immer nur solche geistlichen Dinge so tief in die Seelen der sonst ziemlich gleichmütigen Gläubigen drangen, auf welche Weise sie dermaßen in die Breite wirkten und selbst den weltabgeschiedensten Bauern in Erregung zu bringen vermochten. Niemand verkündete sie laut und auffällig, der Streit tobte hauptsächlich in den Reihen der Theologie-Gelehrten, unter den Landleuten schien man nichts

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