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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Gemüse- und die Bäume des Obstgartens, der Wald, die Äcker und Felder unterlagen denselben Wandlungen. In dieser Allgegenwart von Keimen, Reifen und Vergehen lebten die Aufhauser Kinder seit Anbeginn, und jahrauf, jahrab nahmen der Sinn und das Auge diesen ewigen, gleichmäßigen Wechsel ohne Staunen und ohne Ergriffenheit wahr. Eins nur schien ihnen unwandelbar: das Bild von Vater und Mutter.
    Die Resl mußte auf einmal sehr traurig geworden sein, denn die Liesl beeilte sich zu sagen: »Er hat’s schon im Sinn, aber die Bäuerin, glaub’ ich, treibt ihn eher davon, ehe sie so was tut!«
    »Hm, ja … unsere Mutter –«, stammelte die Resl nur abwesend, und sie arbeitete wieder weiter. Jetzt aber schaute sie den Jani-Hans jedesmal versteckt böswillig an, und es machte auch ganz den Eindruck, als weiche er ihren Blicken aus. –
    Die Resl vermied auch sichtlich, sich mit der Liesl über das eben Gesagte in ein weiteres Gespräch einzulassen, und die Magd war gescheit genug, dies zu begreifen. Sie wechselten nur noch gleichgültige Bemerkungen. Der Tag ging zu Ende wie jeder andere. Auch ihren Schwestern sagte die Resl nichts. Sie behielt alles für sich, und niemand merkte, daß sie nun schärfer auf alles hörte, daß ihre argwöhnischen Augen rascher erfaßten. Vielem Unauffälligen legte sie eine besondere Bedeutung bei.
    Der Jani-Hans redete jetzt nach Feierabend, wenn alle strickend oder Strümpfe stopfend in der spärlich beleuchteten Kuchl saßen, machmal von der ungewissen Zukunft, die der Krieg bringen würde. Er nannte all die Gefallenen aus der nächsten Umgebung und brümmelte teilnahmsvoll: »Unser Herrgott hab’ sie selig!« Dabei bekreuzigte er sich, und die meisten machten es ebenso. Seine Stimme und seine Miene wurden weinerlich. Mitleidig schaute er auf die Bäuerin, überflog beiläufig die Gesichter der Kinder und winselte abermals weiberhell: »Mein Gott und Herr Jesus, wo das noch hinführen wird! Alle Mannsbilder weg und nichts als Wittiberinnen! Überall Kinder und nirgends mehr ein Vater!« Die Resl lugte geschwind zu ihm hinüber. Im dunklen Schatten der Ofenbank aber sah sie nichts als den Rauch der qualmenden Pfeife.
    »Der schwarze Peter sagt, daß die Unsrigen überall obenauf sind«, warf die Heimrathin hin und lächelte, ohne aufzusehen, indem sie den Kopf schüttelte. »Und ärgern kann er sich drüber, daß er blau wird – grad zum Lachen ist’s!« Gleichgültig klangen die Worte. Der Hans bekam unvermerkt einige Stirnfalten.
    »Was der schon daherplappert!« sagte er ungut, schaute wieder eine Zeitlang trübselig vor sich hin, sog schneller an seiner Pfeife und blies wahre Wolken aus sich heraus.
    »Unser Sepp, hat die Liesl gesagt, liegt im Spital«, meinte die Genovev, »und vom Stellmacher von Berg der Maxl, den soll’s auch erwischt haben.«
    »Jaja, sagen tut man’s«, gab die Heimrathin ungerührt zurück. Es blieb eine Weile gemächlich still. Nur das Paffen vom Jani-Hans war vernehmbar. Der räkelte sich und brümmelte wieder: »Heilige Mutter Gottes, man mag gar nicht nachdenken! So wenn’s weitergeht, da stirbt der ganze Bauernstand aus in dem Krieg! Und kein Mensch fragt danach, was aus all den Anwesen wird …« Die Resl hörte sicher heraus, worauf er hinaus wollte, die anderen aber schienen das nicht zu merken.
    »Jaja, ewig wird er ja doch nicht dauern, der Krieg«, sagte die Heimrathin noch immer gleichermaßen unbeteiligt, »und jedem ist ja die Kugel nicht bestimmt. Es wird in Gottes Namen schon wieder einmal anders werden.«
    »Anders schon, aber besser nicht«, meinte der Hans und fuhr fort: »Unser hochwürdiger Herr Pfarrer meint, wenn man’s recht anschaut, müßt’ ja der Krieg schon lang aus sein. Nicht einmal bei Hof in Berg kennt man sich aus, was die Preußen im Sinn haben. Der König soll ganz kritisch sein und läßt sich überhaupt nicht mehr sehen … und alle Augenblick’ kommen fremde Herren zu ihm.«
    Nach Auffassung des Geistlichen nämlich war der Krieg durch die Gefangennahme des französischen Kaisers bei der Kapitulation von Sedan entschieden. Ein Staat und ein Heer ohne Herrscher sei geschlagen. Wenn dieser Bismarck nach einer solchen Niederlage noch weiterfechten lasse, so sei das nicht nur gewissenlos wegen der vielen Menschenopfer, sondern auch höchst verdächtig, weil ja kein Mensch wisse, was »der hinterlistige Dickkopf« im Sinne habe.
    »So was, daß unser König unsere bayrischen Feldsoldaten nicht heimkommen

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