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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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von Sport verstünde. Gould erwiderte: »Es geht hier um Spiele, die Menschen verstehen, wenn sie sich diese besoffen in Kneipen ansehen. Das wirst du schon lernen, wenn du dich anstrengst.«
    Er gab mir eine große Rolle gelben Papiers, auf die ich meinen Text tippen sollte (ich glaube, ich habe sie noch irgendwo), und versprach mir einen halben Cent für jedes geschriebene Wort. Es war das erste Mal, dass mir jemand Lohn für meine Texte anbot.
    Die ersten zwei Artikel, die ich abgab, handelten von einem Basketballspiel, bei dem ein Spieler meiner Highschool den Schulrekord gebrochen hatte. Der Erste war schlichte Berichterstattung. Der Zweite war ein Sonderbericht über Robert Ransoms Rekord brechende Spitzenleistung. Beide Artikel gab ich einen Tag nach dem Spiel bei Gould ab, damit sie am Freitag erscheinen konnten, dem Tag, an dem die Zeitung erschien. Er las die Berichterstattung vom Spiel, korrigierte zwei Kleinigkeiten und kassierte sie. Dann machte er sich mit einem großen schwarzen Stift an den Artikel über Ransom.
    In den verbleibenden zwei Schuljahren in Lisbon besuchte ich die vorgeschriebenen Englischkurse, später auf dem College dann Seminare über expositorische Prosa, Belletristik und Lyrik, doch John Gould lehrte mich mehr als alle zusammen, und das in weniger als zehn Minuten. Ich wünschte, ich hätte das Blatt noch, es hätte mit allen Korrekturen eingerahmt werden müssen, aber ich kann mich noch ziemlich gut daran erinnern, wie der Text lautete und wie er aussah, nachdem Gould ihn mit seinem schwarzen Stift bearbeitet hatte. Ungefähr so:
     
    Bei »seit den Tagen des Koreakriegs« hielt Gould inne und sah mich an. »In welchem Jahr war der letzte Rekord?«, fragte er.
    Glücklicherweise hatte ich mir Notizen gemacht. »1953«, antwortete ich. Gould grunzte und machte sich wieder an den Text. Als er ihn, wie zuvor dargestellt, korrigiert hatte, blickte er wieder zu mir auf und sah meinen Gesichtsausdruck. Er schien ihn als pures Entsetzen zu missdeuten. War es aber nicht, es war reine Offenbarung. Warum machten die Englischlehrer in der Schule nie so etwas?, fragte ich mich. Das hier glich dem durchsichtigen Menschen, der bei Schlächter Diehl im Biologieraum auf dem Tisch stand.
    »Ich habe nur die schlechten Sachen rausgestrichen, verstehst du?«, sagte Gould. »Größtenteils ist es ganz gut.«
    »Ich weiß«, erwiderte ich und meinte beides. Ja, größtenteils war es ganz gut – jedenfalls ordentlich und brauchbar -, und ja, er hatte wirklich nur die schlechten Stellen herausgestrichen. »Ich werde solche Fehler nicht wieder machen.«
    Er lachte. »Wenn das stimmt, dann wirst du nie für deinen Lebensunterhalt arbeiten müssen. Dann kannst du stattdessen das hier tun. Muss ich dir diese Korrekturen erklären?«
    »Nein«, antwortete ich.
    »Wenn du eine Geschichte schreibst, dann erzählst du sie dir selber«, erklärte er. »Wenn du sie überarbeitest, musst du hauptsächlich alles herausstreichen, was nicht zur Geschichte gehört.«
    Gould sagte noch etwas Interessantes, als ich die ersten beiden Artikel bei ihm abgab: »Schreibe bei geschlossener Tür, überarbeite bei offener Tür.« Mit anderen Worten: Am Anfang gehört die Geschichte einem selbst, aber am Ende geht sie hinaus in die Welt. Sobald man weiß, wie die Geschichte aussehen soll, und man sie (so gut man kann) hinbekommt, gehört sie jedem, der sie lesen will. Oder sie kritisieren will. Wenn man viel Glück hat (das ist meine Theorie, nicht die von John Gould, aber wahrscheinlich hätte er sie auch vertreten), wollen mehr Menschen sie lesen als kritisieren.

21
     
    Nach dem Ausflug der Abschlussklasse nach Washington D. C. bekam ich einen Job bei Worumbo Mills and Weaving in Lisbon Falls. Ich wollte ihn nicht, denn die Arbeit war schwer und langweilig und die Weberei selbst ein schäbiges Loch, das wie ein Armenhaus in einem Roman von Charles Dickens über dem verschmutzten Fluss Androscoggin schwebte – aber ich brauchte das Geld. Meine Mutter verdiente einen Hungerlohn als Haushälterin an einer Einrichtung für geistig Behinderte in New Gloucester, doch war sie nicht davon abzubringen, dass ich wie mein Bruder David (Universität von Maine, Abschluss 1966 mit cum laude ) das College besuchte. Es ging ihr nicht in erster Linie um die Ausbildung. Durham, Lisbon Falls und die Universität von Maine in Orono gehörten zu einer kleinen Welt, in der die Verwandten um die Ecke wohnten und sich mithilfe der

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