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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Entwicklung der Ereignisse nicht vorhergesehen hatte. Damals nannten wir jemanden, der etwas Bescheuertes tat, einen »dubber«, (»dubba« ausgesprochen, wenn man aus Maine kam). Und ich hatte gerade etwas richtig Idiotisches getan.
    »Ich verstehe nicht, Stevie«, sagte sie, »warum du überhaupt so einen Schund schreibst. Du hast Talent. Warum vergeudest du deine Begabung mit so etwas?« Sie hatte ein Exemplar von V. I. B. Nr. 1 zu einer Rolle gedreht und fuchtelte mir damit vor der Nase herum, so wie man einem Hund, der auf den Teppich gepieselt hat, mit einer zusammengerollten Zeitung droht. Sie wartete auf meine Antwort – man muss ihr zugutehalten, dass die Frage nicht rein rhetorisch gemeint war -, aber ich hatte nichts zu sagen. Ich schämte mich. Auch danach habe ich mich viele Jahre lang – viel zu viele Jahre, meiner Meinung nach – für das geschämt, was ich schreibe. Mir wurde, glaube ich, erst mit vierzig Jahren klar, dass fast jeder Autor von Belletristik und Lyrik, der jemals eine Zeile veröffentlicht hat, schon einmal beschuldigt worden ist, sein gottgegebenes Talent zu verschwenden. Es wird immer jemanden geben, der versucht, einem das Schreiben (und wohl auch das Malen oder Tanzen oder Bildhauern oder Singen) madig zu machen – so einfach ist das. Das hier soll keine Meinungsmache sein, ich versuche nur, meine Sicht der Dinge darzustellen.
    Miss Hisler sagte mir, ich müsse allen das Geld zurückgeben. Das tat ich, ohne zu widersprechen. Ich zahlte es selbst an die Schüler zurück, die ihr V. I. B. Nr. 1 unbedingt behalten wollten, und das waren so einige, bin ich froh zu sagen. Am Ende hatte ich ein Verlustgeschäft gemacht … aber als die Sommerferien nahten, druckte ich vier Dutzend Exemplare einer neuen Erzählung mit dem Titel The Invasion of the Star-Creatures, die ich mir selbst ausgedacht hatte. Ich verkaufte alle bis auf vier oder fünf. Damit hatte ich letztlich wohl gewonnen, wenigstens in finanzieller Hinsicht. Doch tief in meinem Herzen schämte ich mich immer noch. Immer wieder hörte ich Miss Hisler fragen, warum ich meine Begabung vergeudete, warum ich meine Zeit verschwendete, warum ich solchen Schund schreiben wollte.

19
     
    Einen Fortsetzungsroman für Dave’s Rag zu schreiben, machte Spaß, doch meine übrigen journalistischen Pflichten langweilten mich. Dennoch sprach sich schnell herum, dass ich für eine Art Zeitung gearbeitet hatte, und in meinem zweiten Jahr auf der Lisbon Highschool wurde ich Chefredakteur unserer Schülerzeitung The Drum . Ich glaube nicht, dass man mir die Wahl in dieser Sache ließ; meines Wissens wurde ich einfach dazu ernannt. Mein Stellvertreter Danny Emond hatte noch weniger Interesse an der Zeitung als ich. Danny fand es einfach toll, dass Raum 4, wo wir arbeiteten, neben den Toilettenräumen der Mädchen lag. »Irgendwann spiel ich verrückt und hacke mich durch die Wand, Steve«, erzählte er mir des Öfteren. »Hack, hack, hack.« Einmal fügte er hinzu, als wollte er sich rechtfertigen: »Die schönsten Mädchen der Schule ziehen ihre Röcke da drin hoch.« Das kam mir so unglaublich bescheuert vor, dass es schon wieder weise sein konnte, so wie ein Zenspruch oder eine frühe Story von John Updike.
    Mit mir in der Position des Chefredakteurs florierte The Drum nicht gerade. Damals wie heute wechseln sich bei mir Phasen von Faulheit und wahnsinniger Arbeitswut ab. Im Schuljahr 1963/64 erschien nur eine Ausgabe der Zeitung, aber die war dicker als das Telefonbuch von Lisbon Falls. Eines Abends – Berichte aus den Klassen, das Neueste über die Cheerleader und die Versuche von irgendwelchen Armleuchtern, Schulgedichte zu verfassen, hingen mir zum Halse heraus – schuf ich, als ich eigentlich Bildunterschriften für die Fotos hätte texten sollen, mein eigenes satirisches Schulmagazin. Das Ergebnis war ein vierseitiges Pamphlet, dem ich den Namen The Village Vomit gab. Das Motto in der oberen linken Ecke lautete nicht »Alle Nachrichten, die zu drucken sich lohnen«, sondern »All der Dreck, der kleben bleibt«. Dieses Paradebeispiel infantilen Humors brachte mir den einzigen richtigen Ärger während meiner Zeit auf der Highschool ein. Aber es verschaffte mir auch die nützlichste Lektion in Sachen Schreiben, die ich je bekam.
    Im typischen Stil der Zeitschrift Mad (»What, me worry?« [Was, ich und mich sorgen?]) füllte ich The Village Vomit mit erfundenen Schmankerln über den Lehrkörper der LHS, wobei ich die Lehrer mit

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