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Das Leben und das Schreiben

Das Leben und das Schreiben

Titel: Das Leben und das Schreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Asche zu legen. »Meet the new boss«, sangen The Who, »same as the old boss« (»Triff den neuen Chef, es ist derselbe wie der alte«). Eugene McCarthy konzentrierte sich auf seine Gedichte, happy Hippies trugen Schlaghosen und T-Shirts mit Aufschriften wie TÖTEN FÜR DEN FRIEDEN IST WIE VÖGELN FÜR DIE KEUSCH-HEIT. Ich trug gewaltige Koteletten. Creedence Clearwater Revival sang »Green River«, barfüßige Mädchen tanzten im Mondlicht, und Kenny Rogers war immer noch bei The First Edition. Martin Luther King und Robert Kennedy waren tot, aber Janis Joplin, Jim Morrison, Bob »The Bear« Hite, Jimi Hendrix, Cass Elliot, John Lennon und Elvis Presley lebten noch und machten Musik. Ich wohnte außerhalb des Campus in einem Zimmer von Ed Price (sieben Kröten die Woche, einmal Bettwäsche wechseln inklusive). Menschen waren auf dem Mond gelandet, und ich landete auf der Liste der Vorzugsstudenten. Es geschahen Zeichen und Wunder.
    Eines Tages, es war Ende Juni, picknickten wir Studenten aus der Bibliothek auf dem Rasen hinter der Universitätsbuchhandlung. Zwischen Paolo Silva und Eddie Marsh saß ein nettes Mädchen mit einem heiseren Lachen, rot gefärbtem Haar und den schönsten Beinen, die ich je gesehen hatte (und die ihr gelber Minirock gut zur Geltung brachte). Sie hatte Seele auf Eis (Originaltitel: Soul on Ice ) von Eldridge Cleaver dabei. Ich hatte sie noch nie in der Bibliothek gesehen und nahm auch an, eine Studentin könne niemals so wunderbar furchtlos lachen. Außerdem, schwer verdauliche Lektüre hin oder her, fluchte sie wie ein Fabrikarbeiter, nicht wie eine Studentin. (Da ich in der Weberei gearbeitet hatte, konnte ich das beurteilen.) Sie hieß Tabitha Spruce. Wir heirateten eineinhalb Jahre später. Wir sind immer noch verheiratet, und sie hat mich nie vergessen lassen, dass ich bei unserem ersten Treffen dachte, sie sei Eddie Marshs ungebildete Freundin aus der Stadt. Vielleicht eine Bedienung aus dem Pizzaladen, die an ihrem freien Nachmittag mal ein Buch liest.

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    Es hat geklappt. Unsere Ehe hat alle großen Staatsmänner überdauert, außer Castro (und seit 2008 sogar diesen, zumindest als Staatsmann, Anmerkung der Red.). Und wenn wir weiterhin miteinander reden, streiten, uns lieben und zu den Ramones tanzen – gabba-gabba-hey -, dann geht es wohl auch in Zukunft gut. Wir gehören unterschiedlichen Religionen an, aber als Feministin hat Tabby ihren Katholizismus, bei dem die Männer die Gesetze machen (darunter die gottgegebene Vorschrift, keine Kondome zu benutzen), und die Frauen die Unterhosen waschen, nie besonders ernst genommen. Ich glaube zwar an Gott, kann aber mit verwaltetem Glauben nichts anfangen. Wir kommen beide aus Arbeiterfamilien, essen beide Fleisch, sind politisch gesehen Demokraten und betrachten jedes Leben außerhalb Neuenglands mit dem typischen Misstrauen der Yankees. Wir sind sexuell kompatibel und monogam veranlagt. Was uns allerdings am stärksten verbindet, sind die Wörter, die Sprache und der Beruf unseres Lebens.
    Durch die Arbeit in der Bibliothek lernten wir uns kennen, und bei einem Lyrik-Workshop im Herbst 1969, als ich im Haupt- und sie im Grundstudium war, verliebte ich mich in sie. Ein Grund dafür war, dass ich verstand, was sie mit ihrer Arbeit meinte. Ein anderer Grund war, dass sie wusste, was sie tat. Und noch ein Grund war, dass sie ein sexy schwarzes Kleid und Seidenstrümpfe trug, solche, die einen Strumpfhalter haben.
    Ich möchte nicht zu abschätzig von meiner Generation sprechen (tue ich trotzdem, denn wir hatten die Chance, die Welt zu verändern, und haben statt dessen auf das Home Shopping Network gesetzt), aber die studentischen Autoren, die ich damals kannte, waren der Überzeugung, dass gutes Schreiben spontan sei und sich in einem Gefühlsausbruch offenbarte, den man augenblicklich festhalten müsse. Wenn man beim Bau der so überaus wichtigen Himmelsleiter war, konnte man doch nicht einfach mit einem Hammer in der Hand herumstehen. Die Ars poetica von 1969 lässt sich vielleicht am besten mit einem Songtext von Donovan Leitch beschreiben, der lautete: »First there is a mountain/ Then there is no mountain/ Then there is.« (Erst ist da ein Berg, dann ist da kein Berg und dann ist es da). Die Möchtegerndichter lebten in ihrer umflorten Tolkien-Welt und pflückten ihre Gedichte aus dem blauen Äther. Es herrschte einhellige Übereinstimmung: Ernsthafte Kunst kam … von irgendwo da draußen. Schriftsteller waren gesegnete

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