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Das lebendige Theorem (German Edition)

Das lebendige Theorem (German Edition)

Titel: Das lebendige Theorem (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cédric Villani
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vergisst den Anfangszustand; allmählich nähert sich die statistische Verteilung einem Zustand maximaler Entropie, so ungeordnet wie nur möglich.
Plasmaphysik, Wlassowphysik: Die Entropie ist konstant, die Information wird bewahrt, kein Zeitpfeil, man erinnert sich immer an den Anfangszustand; keine Zunahme der Unordnung und kein Grund, sich was auch immer anzunähern.

Lew Landau
Aber Landau hat die Studie von Wlassow wieder aufgegriffen – von diesem Wlassow, den er geringschätzt und von dem er nicht zögert zu behaupten, dass beinahe alle seine Beiträge falsch sind – und schlug vor, dass die elektrischen Kräfte sich im zeitlichen Verlauf spontan abschwächen, ohne dass es eine Entropiezunahme oder Reibungen irgendwelcher Art gäbe. Ketzerei?
Landaus komplexer und raffinierter mathematischer Kalkül hat die Wissenschaftsgemeinschaft überzeugt, die diesem Phänomen den Namen »Landau-Dämpfung« gegeben hat. Natürlich nicht, ohne dass sich ungläubige Stimmen erhoben.

Kapitel 3
    Lyon, 2. April 2008
    Der im Flur stehende Couchtisch ist mit Skizzen bedeckt, und die schwarze Tafel ist übersät mit kleinen Zeichnungen. Durch das große Glasfenster sieht man eine Art riesige, schwarze, kubistische Spinne auf hohen Beinen, das berühmte Lyoner Labor P4, wo man Experimente an den gefährlichsten Viren der Welt durchführt.
    Mein Gast, Freddy Bouchet, räumt seine Skizzen zusammen und stopft sie in seine Tasche. Eine gute Stunde lang haben wir über seine Forschungen geredet, über numerische Simulationen von Galaxien und über die geheimnisvolle Fähigkeit der Sterne, sich spontan zu stabilen Anordnungen zu organisieren.

Freddy Bouchet
    Diese Stabilisierung ist nicht in das Gesetz der universellen Gravitation eingeschrieben, das vor 343 Jahren von Newton entdeckt wurde. Wenn man jedoch einen Sternennebel beobachtet, bei dem die Sterne von diesem Gravitationsgesetz regiert werden, scheint es doch so zu sein, dass das Ganze sich nach einer ziemlich langen Zeit stabilisiert. Man sieht das ganz gut bei den zahlreichen Berechnungen, die auf leistungsfähigen Computern durchgeführt wurden.
    Lässt sich also diese Eigenschaft der Stabilisierung aus dem Gesetz der universellen Gravitation ableiten ?
    Der Astrophysiker Lynden-Bell, der fest wie … wie ein eiserner Asteroid daran glaubte, taufte dieses Phänomen auf den Namen heftige Relaxation . Ein schönes Oxymoron!
    – Die heftige Relaxation, Cédric, verhält sich wie die Landau-Dämpfung. Außer dass die Landau-Dämpfung im perturbativen Regime und die heftige Relaxation in einem deutlich nichtlinearen Regime stattfindet.
    Freddy hat eine doppelte Ausbildung als Mathematiker und als Physiker und hat einen Teil seines Lebens Problemen wie diesem gewidmet. Unter den grundlegenden Fragen, die er untersucht hat, gibt es eine, der es zukommt, mich heute zu unterhalten.
    – Siehst du, Cédric, wenn man Galaxien modelliert, ersetzt man natürlich die Sterne, die kleinen Punkte im Universum, durch ein Fluidum, wie ein Gas aus Sternen. Man geht vom Diskreten zum Kontinuierlichen über. Aber wie groß ist der Fehler, den man bei dieser Näherung begeht? Wie hängt das von der Anzahl der Sterne ab? In einem Gas gibt es Abermilliarden Teilchen, in einer Galaxie gibt es nur hundert Milliarden. Ändert das die Dinge sehr?
    Mein Gesprächspartner hat lange Ergebnisse besprochen, in Frage gestellt, bewiesen, Zeichnungen angefertigt, Quellenangaben notiert. Wir haben die Verbindung zwischen seinen Forschungen und einem meiner Lieblingsthemen angesprochen, die Theorie des optimalen Transports, die von Monge begründet wurde. Der Austausch war nutzbringend, und Freddy ist zufrieden. Was mich betrifft, so bin ich ganz begeistert davon, die Landau-Dämpfung abermals auftauchen gesehen zu haben, nur wenige Tage nach meinem Gespräch mit Clément.
    Während Freddy sich verabschiedet und weggeht, schaltet sich mein Büronachbar ein, der sich bis dahin schweigsam mit dem Ordnen von Blättern beschäftigt hatte. Seine langen grauen Haare, die sorgfältig zurechtgeschnitten sind, verleihen ihm ein leicht rebellisches Aussehen.
    – Weißt du, Cédric, ich wollte ja eigentlich nichts sagen, aber diese Abbildungen dort auf der Tafel kenne ich schon.
    Plenarredner auf dem letzten internationalen Mathematikerkongress, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, oftmals vorgestellt – und zweifellos auch zu Recht – als »der beste Redner der Welt« in der Mathematik, ist Étienne Ghys

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