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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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beliebigen wählen können. In der Teestube war kein einziger Gast.
    »Wir sind nicht zum Teetrinken hergekommen«, sagte ich.
    »Sehr gut Tee jetzt. Wir schon gekocht.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    |213| »Wir haben keine Zeit. Wo sind sie?«
    Er wich meiner Frage aus. Er wandte sich an die Zwillinge und gab ihnen einen Wink. Einer von ihnen griff hinter sich und
     nahm ein Tablett mit zwei Tassen. Er trug es zu dem Tisch, den der Alte für uns ausgesucht hatte, stellte es hin und rückte
     die Stühle ein wenig für uns zurecht.
    Vera kam mir wieder zuvor. Ehe ich mich erneut widersetzen konnte, ging sie und ließ sich an dem Tisch nieder. Ich zögerte
     kurz, unzufrieden, dass sie die Initiative übernommen hatte, dann nahm ich neben ihr Platz.
    Das zweite Kind nahm die Tassen vom Tablett und stellte sie vor uns. Dann begab es sich zu seinem Vater und dem Bruder oder
     der Schwester, die neben unserem Tisch standen. Sie blickten uns an, ununterbrochen lächelnd.
    Noch einmal war Vera schneller. Sie führte die Tasse zum Mund und trank einen Schluck. Ihr Gesicht begann zu strahlen, doch
     sie sagte nichts.
    Während ich auch selbst bedächtig die Teetasse hob, merkte ich, dass der Tee nicht dampfte. Und tatsächlich, er war lauwarm.
     Doch das war nicht die einzige Überraschung. Ich war überzeugt gewesen, er würde uns Algentee reichen. Dieser aber hatte einen
     unbekannten Geschmack. Ein wenig bitter, ähnlich der Kornelkirsche, aber wiederum anders.
    Fragend blickte ich Vera an – und merkte, mit ihr stimmte etwas nicht. Ihre Augen waren auf mich gerichtet, aber sie schien
     mich nicht zu sehen. Sie wirkte auch weiterhin ruhig und doch starr, die Teetasse unbeweglich auf halbem Weg zwischen Tablett
     und Mund haltend.
    »Vera?«
    Sie rührte sich nicht.
    Ich setzte meine Teetasse ab und sprang beinahe vom Stuhl auf.
    »Was ist das? Was haben Sie ihr gegeben?«
    »Fräulein Vera alles gut«, erwiderte der Alte mit ruhiger |214| Stimme. »Warten, bis Sie wiederkommen. Sie müssen allein gehen.«
    Ich schaute ihn lange an.
    »Wohin?«
    »Da.«
    Er zeigte nach links. Ich wandte mich um, doch alles, was ich sah, war die dunkelrote Draperie, die einen Teil der Wand zwischen
     zwei Tischen bedeckte. Die Zwillinge gingen darauf zu und zogen sie in der Mitte auf wie einen Theatervorhang. Dahinter kam
     eine Tür zum Vorschein. Eines der Kinder griff nach der Klinke und öffnete die Tür, das andere bat mich mit ausholender Geste,
     hineinzugehen.
    Ich ging nicht sofort. Ich blickte wieder zu Vera. Sie glich der lebenden Statue einer jungen Frau, die zufrieden mit einem
     unsichtbaren Partner Tee trinkt.
    Als ich bei der Tür war, drehte ich mich noch einmal um. Nichts hatte sich verändert. Der Alte stand noch am Tisch neben Vera,
     als hielte er Wache. Das Lächeln auf seinem Gesicht war nicht verschwunden.
    Ich hatte erwartet, die Zwillinge würden mich nur hineingehen lassen und die Tür hinter mir schließen, doch sie gingen vor
     mir. Ich zögerte nur einen Augenblick, dann folgte ich ihnen.
    Ich konnte nicht sehen, wo wir uns befanden. Der Ort war dunkel. Nur wenig Licht drang aus der Teestube. Doch auch das verschwand,
     als unsichtbare Hände die Tür hinter uns schlossen.
    Die völlige Dunkelheit dauerte nur einen Moment. Die Beleuchtung schaltete sich offenbar von selber ein, doch die Quelle des
     Lichts war nicht zu sehen. Es schien von überall herzukommen, so als dränge es aus den Wänden, aus Fußboden und Decke, die
     mit verschlissenem dunkelgrünem Samt bedeckt waren.
    Vor uns lag ein kurzer Flur. In seiner Mitte befand sich |215| rechts und links je eine Tür. Ebenfalls dunkelgrün, und deshalb kaum sichtbar. Die dritte Tür am anderen Ende des Flurs unterbrach
     die samtene Eintönigkeit. Sie war aus massivem Holz.
    Die Zwillinge liefen hüpfend vor mir her. Ihre Bewegungen waren leicht und geschmeidig. Mir kam der Gedanke, sie könnten fliegen,
     wenn sie nur wollten. In der Mitte des Flurs hielten sie an und stellten sich beiderseits der linken Tür auf. Sie sagten nichts,
     aber ich verstand, dass sie auf mich warteten.
    Als ich bei ihnen war, durchdrang mich erneut der Eindruck des schon Gelesenen, stärker als je zuvor. Wieder starrte ich durch
     eine vom Regen verschwommene Fensterscheibe, doch diesmal schien ich ein wenig hindurchsehen zu können. Endlich schien mein
     Blick das zu erreichen, was auf der anderen Seite verborgen war.
    Während ich vor der Tür stand, schalteten sich für einen

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