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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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Moment meine Scheibenwischer ein. Noch bevor einer der Zwillinge
     die Tür öffnete, wusste ich, was ich dahinter erblicken würde.
    Acht Männer nahmen alle Plätze an einem langen Tisch ein, der bis zur Tür reichte. Am anderen Ende, an der Stirnseite, saß
     Hauptkommissar Milenković. Die Leute vom Amt für Nationale Sicherheit waren erstarrt wie Vera, jeder mit seiner halb erhobenen
     Tasse Tee.
    Ich nickte. Der andere Zwilling schloss die Tür. Ich wandte mich zu jener an der Seite gegenüber. Das erste Kind griff nach
     der Klinke, doch ich schüttelte den Kopf. Es war nicht nötig, sie zu öffnen. Meine Scheibenwischer arbeiteten. Der Samt und
     das Holz dahinter wurden ganz durchsichtig.
    Der Tisch dort war doppelt so lang. Nur eine der sechzehn Gestalten hatte keine braune Kutte mit aufgesetzter Kapuze. In Weiß
     gekleidet, nahm der Großmeister den gleichen Platz ein wie der Hauptkommissar. Die Sektenmitglieder glichen |216| Mönchen, die im Refektorium eines Klosters jemandem zuprosten.
    Ich sah die Zwillinge an. Zu sagen brauchte ich nichts. Hüpfend wie zuvor, kehrten sie zum Eingang zurück und warteten dort
     auf mich.
    Ich drehte mich um und ging entschlossen auf die Holztür am Ende des Flurs zu. Zum Ende des
letzten Buches
. Bereits gelesen, hatte es aufgehört, ein unbegreifliches Trugbild zu sein. Vor mir blitzte die Klarheit eines heiteren Tages.
     Scheibenwischer brauchte ich nicht mehr.
    Ich klopfte leicht an.
    »Herein!«, rief eine wohlbekannte Stimme.

|217| 40.
    In dem Arbeitszimmer am Ende des Flurs hielt ich mich nicht lange auf. Dafür gab es keinen Grund. Auch ehe ich dort hineinging,
     wusste ich alles, sodass überflüssige Erklärungen unterblieben. Wir führten ein leichtes, herzliches Gespräch. Wie Leute,
     die sich gut kennen. Sogar besser als eineiige Zwillinge. Eigentlich ein Gespräch, wie es jemand mit sich selber führt, wenn
     er gute Laune hat.
    Als ich in den Flur zurückkam, befand ich mich anfangs erneut im Dunkeln, doch schon im nächsten Augenblick begannen die Wände,
     der Fußboden und die Decke zu leuchten. Bruder und Schwester erwarteten mich lächelnd am anderen Ende und verbeugten sich.
     Ich erwiderte ihr Lächeln und ging zu ihnen. Nur kurz blieb ich in der Mitte des Flurs stehen. Ich brauchte mich nicht nach
     links und rechts zu wenden und durch die verschlossenen Türen zu schauen. An den langen Tischen saß niemand mehr. Es waren
     auch keine Tische mehr da. Und nicht einmal mehr die Räume, in denen sich die Tische befunden hatten. Die beiden Samttüren
     waren Attrappen. Sie führten nirgendwohin.
    Ebenfalls eine Scheintür war jene, die aus der Teestube in den Flur geführt hatte. Als ich durch sie hindurchgegangen war,
     nachdem einer der Zwillinge sie geöffnet und der andere die dunkelrote Draperie zugezogen hatte, blieb hinter mir nur die
     Wand, so wie sie an dieser Stelle immer gewesen war.
    |218| Vera traf ich in derselben Pose an, in der ich sie verlassen hatte. Sie saß unbeweglich da, die Teetasse in Brusthöhe haltend.
     Ihr Blick war auf den leeren Platz am Tisch ihr gegenüber gerichtet, als sähe sie dort jemanden. Nur der Alte stand nicht
     mehr neben ihr. Sie war allein in der Teestube.
    Ich ging hin und rückte meinen Stuhl zurecht. Im selben Augenblick, als ich mich hinsetzte, kam Leben in sie. Sie stellte
     die Tasse aufs Tablett.
    »Diesen Tee habe ich noch nie getrunken«, sagte sie, als würde sie ein gerade unterbrochenes Gespräch fortsetzen. »Was mag
     das für Tee sein?«
    »Vielleicht Kornelkirsche?«, erwiderte ich.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »So ähnlich im Geschmack. Aber ich denke, es ist etwas anderes.« Sie blickte um sich. »Wo ist der Alte? Ich werde ihn fragen.«
    Ich machte eine Kopfbewegung zur Tür hinter dem Ausschank, die in ein Hinterzimmer führte.
    »Er ist dort hinausgegangen.«
    Über Veras Gesicht huschte plötzlich ein Schatten.
    »Und die anderen? Hauptkommissar Milenković und seine Leute? Und die Sektenbrüder? Hier sind mindestens fünfundzwanzig Leute
     hineingegangen.«
    »Sie sind nicht mehr da. Für sie ist alles beendet.«
    Sie maß mich verwirrt.
    »Wieso beendet?«
    »Der Hauptkommissar wird in Kürze den Fall als ungelöst abschließen. Das passiert mitunter bei der Polizeiarbeit. Es gibt
     keine neuen Verbrechen, und die alten bleiben unaufgeklärt. Was diese Geheimgesellschaft betrifft, so werden die Brüder feststellen,
     dass es wieder ein falsches Erscheinen des
letzten Buches
war,

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