Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
anderes ist als das Mäntelchen, das du deiner Feigheit umhängst! Wenn ich dieses Märchen nochmal höre, dann geh ich hin und mach den alten Haggard selber kalt, dann weiß ich wenigstens, was du für ein…«
»Schluss!«, brüllte Cully. »Nicht vor Fremden!« Er zerrte an seinem Schwert; Molly breitete verächtlich lachend ihre Arme aus. Rings um das Feuer spielten fettige Hände mit Dolchgriffen, und Bogen schienen sich von selbst zu spannen, da aber erhob Schmendrick seine Stimme, um die durchlöcherte Eitelkeit Cullys zu retten. Er hasste Familienstreit.
»In meinem Lande singt man über dich eine Ballade«, sagte er. »Leider ist mir gerade der Text entfallen…«
Captain Cully fuhr herum wie eine Katze, die nach ihrem Schwanz hascht. »Welche?«, stieß er hervor.
»Ich weiß nicht«, antwortete der verblüffte Schmendrick. »Gib es denn mehr als eine?«
»Und ob!«, rief Cully, sich rötend und rundend, stolzgeschwellt. »Willie Gentle! Willie Gentle! Wo ist der Bursche?«
Ein glatthaariger Junge mit einer Laute unterm Arm und Pickeln im Gesicht schlenkerte herbei. »Sing für diesen Herrn hier eine meiner Heldentaten!«, befahl ihm Captain Cully. »Am besten die, wie du zu uns gefunden hast. Ich habe das Lied schon seit letzten Dienstag nicht mehr gehört.«
Der Spielmann seufzte, schlug einen Akkord und fing mit hoher, zittriger Stimme zu singen an:
Captain Cully, der Tröster der Witwen und Waisen,
ritt heim von der Jagd auf des Königs Wild,
da sah sein Falkenauge schleichen
nen bleichen Jüngling durchs Gefild.
»Was gibt’s, was gibt’s, du frischer Fant,
was schmerzt dich, dass du seufzt so inständig?
Ist die hohe Frau entlaufen dir,
oder welch andres Leid macht dein Herz so grindig?«
»Ich bin nicht grindig, was immer das ist,
und mein Leid ist so gut wie jedes andere Leid,
doch was drei Brüder roh mir entrissen,
beseufze ich sehr, eine schöne Maid.«
»Ich bin Captain Cully aus den grünen Wäldern,
und meine Männer sind feurig und frei;
was wirst du mir geben,
wenn ich die Dame schaff wieder herbei?«
»Wenn du die Dame mir schaffst herbei,
schlag ich die Nase dir ein,
ich will, was meine drei Brüder von ihr genommen:
von ihrem Hals den Edelstein!«
Da flog der Hauptmann zu den drei Dieben
und ließ, sein Schwert klingen und singen.
»Behaltet den Schatz, doch her mit dem Stein,
ich will sogleich dem König ihn bringen!«
»Jetzt kommt der stärkste Teil«, wisperte Captain Cully. Er hüpfte aufgeregt umher, umschlang sich mit seinen eigenen Armen.
Drei Mäntel herunter, drei Schwerter heraus,
vier Klingen, die pfeifen wie kochender Tee.
»Jetzt sollt ihr verlieren Mädchen und Stein,«
schrie Captain Cully, »so wahr ich hier steh!«
Und er trieb sie waldauf und er trieb sie waldab,
er trieb sie wie Schafe durch Hafer und Heu…
»Wie Schafe!«, schnaufte Cully. Er wiegte sich summend hin und her, parierte während der restlichen siebzehn Strophen ein gutes Dutzend Schwerter mit seinem Unterarm, so hingerissen, dass er den Spott Mollys und die Unruhe seiner Männer gar nicht bemerkte. Schließlich war die Ballade zu Ende; Schmendrick klatschte begeistert Beifall und beglückwünschte Willie Gentle zu seiner rechten Hand.
»Alan-a-Dale hat so gespielt«, sagte der Spielmann.
Er hätte gern weitere Erläuterungen gegeben, doch Captain Cully fiel ihm ins Wort: »Gut gespielt, Willie, guter Junge, ganz ausgezeichnet, und jetzt spielst du die andern.« Er strahlte Schmendrick an, der sich sehr bemühte, seinem Gesicht den Ausdruck angenehmer Überraschung zu geben. »Ich sagte dir, dass es über mich mehrere Lieder gibt. Um genau zu sein, es sind einunddreißig! Zurzeit befindet sich allerdings noch keines von ihnen in der Sammlung Child…« Seine Augen wurden plötzlich riesengroß, und er packte den Zauberer an den Schultern. »Sind Sie vielleicht Herr Child?«, stieß er hervor. »Er soll oft höchstpersönlich Balladen suchen, verkleidet als gewöhnlicher Mann…«
Schmendrick schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid, tut mir aufrichtig leid.«
Der Hauptmann seufzte und ließ ihn los. »Nicht so schlimm«, murmelte er. »Man hat natürlich immer Hoffnung, selbst jetzt, in eine Sammlung aufgenommen, verifiziert, mit Anmerkungen versehen zu werden, verschiedene Lesarten zu haben, angezweifelt, sogar kritisiert… na ja, macht nichts. Sing die anderen Lieder, Willie. Du wirst die Übung brauchen, wenn du mit deinen Liedern eines Tages
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