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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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›Überkompensation?‹. Aber dann schüttelte er den Kopf, was in seiner Lage recht schwierig war. ›Der Zauber weiß, was er will‹, dachte er, während das Pferd durch einen Bach trabte und ihn tüchtig durchrüttelte. ›Doch ich weiß nie, was er weiß. Wenigstens nicht im richtigen Augenblick. Ich würd ihm schreiben, wenn ich die Adresse hätte.‹
    Busch und Baum zerkratzten sein Gesicht, und Eulen schrien ihm die Ohren voll. Die Pferde fielen in Trab, dann in Schritt. Eine hohe, zittrige Stimme rief: »Halt! Das Losungswort!«
    »Verdammich nochmal!«, brummte Jack Jingly. Er kratzte seinen Kopf, was wie das Geräusch von einer Säge klang, räusperte sich, schrie: »Ein kurzes, ein glückliches Leben im fröhlichfreien Wald; Kameraden allzeit, zum Sieg bereit…«
    »Freiheit«, verbesserte die dünne Stimme, »zur Freiheit bereit. Auf den Rhythmus kommt es an!«
    »Danke. Zur Freiheit bereit. Kameraden allzeit – nein, nein, das hab ich schon. Ein kurzes, ein glückliches Leben, Kameraden – nein, so geht es auch nicht.« Jack Jingly kratzte sich wieder den Kopf und stöhnte. »Zur Freiheit bereit – hilf mir doch bitte ‘n bisschen!«
    »Einer für alle und alle für einen«, erwiderte die Stimme bereitwillig. »Schaffst du den Rest allein?«
    »Einer für alle und alle für einen – ich hab’s!« rief der Riese. »Einer für alle und alle für einen, Harmonie führt uns zum Siege, Zwietracht in den Untergang!« Er spornte sein Pferd und wollte weiterreiten.
    Ein Pfeil zischte aus dem Dunkel, riss einen Hautfetzen von seinem Ohr, streifte das Pferd des Reiters hinter ihm und witschte wie eine Fledermaus davon. Die Räuber suchten eiligst Deckung hinter den Bäumen, Jack Jingly schrie rasend vor Zorn: »Verflucht soll’n deine Augen sein! Mehr als zehnmal habe ich das Losungswort gegeben! Wart, bis ich dich in die Finger kriege!«
    »Wir haben die Parole während deiner Abwesenheit geändert, Jack«, sagte der Posten. »Sie war einfach zu schwer.«
    »So! Ihr habt also das Losungswort geändert!« Jack Jingly betupfte sein blutendes Ohr mit einem Zipfel von Schmendricks Mantel. »Und woher soll ich das wissen, du hirnloser, kaldaunenloser, leberloser Säugling?«
    »Reg dich nicht auf, Jack«, antwortete der Posten beschwichtigend. »Schau, es ist wirklich nicht so wichtig, ob du die neue Parole kennst oder nicht, denn sie ist kinderleicht. Du rufst einfach wie eine Giraffe. Das hat sich der Hauptmann persönlich ausgedacht.«
    »Wie eine Giraffe rufen!« Der Riese fluchte so lange, bis sogar die Pferde vor Verlegenheit unruhig wurden. »Du Simpel! Giraffen sind stumm. Der Hauptmann könnte uns genauso gut wie einen Fisch rufen lassen oder einen Schmetterling.«
    »Ich weiß. Aber auf diese Weise kann niemand die Parole vergessen, nicht einmal du. Ist der Hauptmann nicht ein Genie?«
    »Der Mann ist unergründlich«, erwiderte Jack Jingly nachdenklich. »Aber sag mal, was soll denn dann einen Waldhüter oder einen von den Leuten des Königs davon abhalten, bei deinem Anruf wie eine Giraffe zu antworten?«
    »Ah!«, kicherte der Posten. »Jetzt wird dir die Genialität unseres Hauptmanns erst richtig klar werden: Man muss dreimal rufen, zweimal lang und einmal kurz!«
    Wortlos saß Jack Jingly auf seinem Pferd und rieb sein Ohr. Dann seufzte er: »Zweimal lang und einmal kurz – meinetwegen. Auch nicht verrückter als damals, wo er gar keine Parole ausgab und auf jeden schoss, der dem Anruf Folge leistete. Zweimal lang und einmal kurz, in Ordnung.« Er trieb sein Pferd wieder an und ritt zwischen den Bäumen hindurch weiter, seine Männer hinter ihm her.
    Weiter vorne waren Stimmen zu hören, sie klangen wie Bienen, deren Stock beraubt wird. Als sie näherkamen, vermeinte Schmendrick die Stimme einer Frau zu erkennen. Dann spürte er an der Wange die Wärme von Feuer und blickte auf. Sie hielten auf einer kleinen Lichtung, wo zehn oder zwölf Männer murrend und brummend um ein Lagerfeuer saßen. Es roch nach angebrannten Bohnen.
    Ein rothaariger, sommersprossiger Mann, dessen Lumpen etwas besser als die der anderen Männer waren, schritt heran, um sie zu begrüßen. »Wen bringst du uns da mit, Jack? Gast oder Gefangenen?« Über die Schulter rief er: »Liebling, tu noch etwas Wasser in die Suppe. Wir haben Besuch!«
    »Weiß selber nicht, was der ist«, polterte Jack Jingly und begann die Geschichte vom Bürgermeister und dem Hut zu erzählen. Aber kaum war er dazu gekommen, den feurigen

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