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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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von ihnen. Tanzend und toll, meerweiß stieß es seine Herausforderung zum zweiten Mal hinaus.
    Und die flammende Helle antwortete ihm mit einem Brüllen, das wie aufbrechendes Eis im Frühling klang. Drinns Männer flohen schreiend und stolpernd.
    Haggards Schloss stand in Flammen, schwankte in einem jähen kalten Winde hin und her. Molly sagte laut: »Aber es muss doch das Meer sein!« Sie meinte in der Ferne ein Fenster zu sehen und ein fahles Gesicht dahinter. Dann kam der Rote Stier.

8

    ot wie Blut war er, nicht wie springendes, sprudelndes Herzblut, sondern rot wie Blut, das unter einer alten Wunde stockt. Ein schreckliches, schweißiges Licht strömte von ihm und sein Gebrüll ließ die Erde erzittern. Seine Hörner waren fahl wie Narben.
    Einen Augenblick lang hielt ihm das Einhorn stand, gläsern gefroren wie eine Woge vor dem Brechen. Dann erlosch das Licht seines Hornes, es wandte sich und floh. Der Rote Stier brüllte wieder und setzte ihm in gewaltigen Sprüngen nach.
    Noch nie in seinem Leben hatte das Einhorn sich vor irgendetwas gefürchtet. Es war unsterblich, doch konnte es von einer Harpyie getötet werden, von einer Schimäre oder einem Drachen, und von einem Pfeil, der, auf ein Eichhörnchen abgeschossen, sein Ziel verfehlte. Ein Drache konnte es zwar töten, ihm aber nie das Bewusstsein nehmen, ein Einhorn zu sein, das selbst im Tode hundertmal schöner war als er. Der Rote Stier kannte das Einhorn nicht, doch dieses spürte, dass er ihm nachjagte, und nicht einer weißen Stute. Furcht färbte es dunkel, und es rannte davon. Des Stieres wildes Ungetüm füllte den Himmel, lief über ins Tal.
    Blindlings brach es durch den Wald, die Bäume sprangen es an, versperrten ihm den Weg, ihm, das bisher so geschmeidig durch die Ewigkeit geglitten war, ohne jemals anzustoßen. Hinter ihm splitterten unter dem Ansturm des Roten Stieres die Bäume wie Glas. Wieder brüllte er; ein dicker Ast schlug gegen des Einhorns Schulter, so heftig, dass es strauchelte und fiel. Im Nu war es wieder auf, doch jetzt wölbten sich die Wurzeln unter seinen Beinen oder gruben sich geschäftig wie Maulwürfe unter seinem Weg hindurch; Ranken schlugen nach ihm, umwanden es wie Würgeschlangen, Riesenspinnen webten ihre Netze zwischen den Bäumen, ringsum brachen tote Äste. Es fiel zum zweiten Mal. Die Hufschläge des Stieres durchdröhnten seinen Körper, und das Einhorn schrie auf.
    Ohne zu wissen, wie, hatte es aus dem Wald herausgefunden, denn jetzt stürmte es auf der harten kahlen Ebene dahin, die jenseits der üppigen Weiden von Hagsgate lag. Nun konnte es seine Geschwindigkeit entfalten – und ein Einhorn trabt erst, wenn seine Jäger schon ihre zu Tode ermatteten Pferde spornen! Schnell wie das Leben lief es, schwalbenschnell, schnell wie ein Stein übers Wasser, schneller als alles, was an Beine und Schwingen gefesselt. Doch ohne zurückzusehen wusste es, dass der Rote Stier näherkam, heranschoss wie der Mond, der finstere, volle Jägermond. An seiner Flanke spürte es den Anprall der fahlen Hörner, als hätte er schon zugestoßen.
    Scharfe reife Maisstängel neigten sich einander zu, formten vor ihm eine hohe Hecke, es trampelte sie nieder. Silbrige Weizenfelder wurden kalt und klebrig, sobald der Stier sie anblies, zerrten und zogen an seinen Beinen wie nasser Schnee. Blökend und geschlagen lief es dahin, hörte das Schmetterlings eisiges Zirpen: »Sie sind vor langer Zeit vom Roten Stier davongetrieben worden, er rannte dicht hinter ihnen her…« Er hatte sie alle getötet!
    Plötzlich stand der Stier vor ihm, als hätte man ihn wie eine Schachfigur aufgehoben, durch die Luft geschwenkt und wieder niedergesetzt, um ihm den Weg zu versperren. Er griff nicht an, und das Einhorn blieb stehen. Zu Beginn der Jagd war er riesig gewesen, doch während der Verfolgung war er so gewachsen, dass es sich jetzt seine ganze Größe gar nicht mehr vorstellen konnte. Seine Gestalt schien die blutüberlaufene Himmelswölbung auszufüllen, seine Beine waren wie Wirbelwinde, und sein Haupt wallte und wogte wie das Nordlicht. Seine Nüstern schnoberten und witterten nach ihm. Da erkannte das Einhorn, dass der Rote Stier blind war. Hätte er in diesem Augenblick angegriffen, es hätte ihm die Stirn geboten, so winzig und hoffnungslos es auch war mit seinem erloschenen Horn, selbst auf die Gefahr hin, einfach zerstampft zu werden. Besser, sich jetzt zu stellen, als auf der Flucht angefallen zu werden. Doch der Stier näherte

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