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Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen

Titel: Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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feilschten eine halbe Stunde lang, Schmendrick forderte hundert Goldstücke, Drinn wollte nicht mehr als vierzig für die Sache anlegen. Schließlich einigten sie sich auf siebzig, fünfunddreißig auf die Hand, den Rest nach erfolgreicher Rückkehr. Drinn zählte unverzüglich das Geld ab, das er dem Lederbeutel an seinem Gürtel entnahm. »Ihr werdet diese Nacht selbstverständlich in Hagsgate verbringen«, sagte er. »Es wäre mir eine Ehre, euch bei mir aufzunehmen.«
    Der Zauberer schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Wir sind dem Schloss schon so nahe, dass wir das letzte Stückchen noch heute hinter uns bringen wollen. Je früher dort, desto früher wieder hier, was?« Er grinste gerissen und verschwörerisch.
    »Haggards Schloss ist stets gefährlich«, warnte Drinn. »Und ganz besonders in der Nacht.«
    »Das sagt man auch von Hagsgate«, erwiderte Schmendrick. »Du solltest nicht alles glauben, was du hörst, Drinn.« Er ging zur Tür des Gasthauses, und Molly folgte ihm. Unter der Tür wandte er sich um und strahlte die Einwohner von Hagsgate an, die verloren in all ihren Reichtümern dahockten. »Es wäre mir recht, wenn ihr über folgenden Gedanken etwas nachdächtet«, sagte er zu ihnen. »Der beste Fluch des besten Fachmanns, ob gezischt oder gekrächzt oder gedonnert, hat keine Wirkung auf ein reines Herz. Gute Nacht.«
    Draußen lag die Nacht kobrakalt und sternenbeschuppt in den Straßen, der Mond war nicht zu sehen. Schmendrick trat frisch und fröhlich hinaus, lachte leise vor sich hin und klimperte mit seinen Goldstücken.
    Ohne Molly anzusehen, sagte er: »Diese Einfaltspinsel! Glauben doch wirklich, alle Zauberer wollten dem Tod ins Handwerk pfuschen! Wenn sie von mir verlangt hätten, ich solle diesen Fluch von ihnen nehmen, so hätte ich das vielleicht für eine Mahlzeit getan. Vielleicht sogar für ein einziges Glas Wein.«
    »Ich bin froh, dass du’s nicht getan hast«, sagte Molly heftig. »Sie verdienen ihr Schicksal, sie verdienen noch Schlimmeres. Ein Kind im Schnee liegen zu lassen…«
    »Hätten sie’s nicht getan, hätte er nicht zu einem Prinzen herangewachsen können. Bist du noch nie in einem Märchen gewesen?« Des Zauberers Stimme klang freundlich und trunken, und seine Augen funkelten mit seinem neuen Geld um die Wette. »Der Held muss eine Weissagung erfüllen, und der Bösewicht muss ihn daran hindern. In einer anderen Art von Märchen ist es allerdings gerade umgekehrt. Und der Held muss vom Augenblick seiner Geburt an in Schwierigkeiten sein, sonst ist er kein richtiger Held. Ich bin sehr erleichtert, dass dieser Prinz Lír auftaucht. Ich habe schon lange drauf gewartet, dass in dieser Geschichte eine Hauptfigur auftaucht.«
    Das Einhorn war plötzlich da, wie ein Stern plötzlich da ist; es ging ihnen ein wenig voraus, ein Segel in der Dunkelheit. Molly sagte: »Wenn Lír der Held ist, was ist dann das Einhorn?«
    »Das ist ganz was anderes! Haggard und Lír und Drinn, du und ich, wir befinden uns mitten in einem Märchen und müssen gehen, wohin es führt. Das Einhorn aber ist Wirklichkeit. Es ist Wirklichkeit.« Schmendrick gähnte, bekam einen Schluckauf und zitterte plötzlich vor Kälte. »Wir müssen uns beeilen «, sagte er. » Vielleicht hätten wir Drinns Einladung annehmen sollen, aber der Alte macht mich einfach nervös. Ich bin sicher, dass ich ihn hinters Licht geführt habe, aber dennoch…«
    Molly, die halb wachend und halb träumend dahinging, schien es, als zöge sich Hagsgate wie eine Tatze zusammen, um sie drei zurückzuhalten, als umschlösse diese Tatze sie und triebe sie sanft hin und her, so dass sie wieder und wieder in ihre eigenen Fußstapfen traten. Hundert Jahre dauerte es, bis sie das letzte Haus der Stadt erreichten, weitere fünfzig, bis sie blindlings die nassen Felder, die Weingärten und die geduckten Obstwiesen durchstolpert hatten. Molly träumte, aus den Baumwipfeln glotzten Schafe, und klamme Kühe träten auf ihre Füße und drängten sie von dem immer ungewisser werdenden Pfad. Doch segelte ihnen das Licht des Einhorns voran, und ihm folgte Molly, im Wachen wie im Schlafen.
    König Haggards Schloss ragte in den Himmel wie ein pechschwarzer Vogel, der zur Nacht das Tal abfischt. Molly hörte das Rauschen seiner Schwingen. Dann spürte sie in ihrem Haar den Atem des Einhorns, und sie hörte Schmendrick fragen: »Wie viele Männer?«
    »Drei«, antwortete das Einhorn. »Sie sind hinter uns her, seit wir Hagsgate verlassen haben, aber

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