Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
murmelte er. »Ich werde bleiben und allein über ein elendes Volk herrschen, in einem Lande, das ich hasse. Doch an meiner Herrschaft werde ich nicht mehr Freude haben, als der arme Haggard daran hatte.«
Eine kleine Herbstkatze mit einem verkrümmten Ohr kam aus dem Nirgendwo herangestrichen und gähnte Molly an. Sie hob sie auf, presste sie gegen ihr Gesicht, und die Katze begann mit ihren Pfoten nach Mollys Haar zu haschen. Schmendrick lächelte und sagte zu dem König: »Wir müssen dich jetzt verlassen. Wirst du uns den Freundesdienst erweisen, mit uns bis an die Grenze deines Reiches zu reiten? Zwischen hier und dort liegt viel, was deiner Aufmerksamkeit wert ist. Und ich kann dir versprechen, dass wir einige Spuren von Einhörnern sehen werden.«
Der König rief wieder nach seinem Pferd, und die Männer suchten und fanden es; doch für Schmendrick und Molly gab es keine Pferde. Als die Männer jedoch zurückkamen, da drehten sie sich, Lírs Erstaunen gewahrend, um und sahen, dass zwei weitere Pferde gehorsam hinter ihnen hertrotteten, ein Rappe und ein Brauner, beide schon gesattelt und gezäumt. Schmendrick gab Molly den Braunen und nahm den Rappen für sich.
Sie fürchtete sich vor den Tieren. »Gehören sie dir?«, fragte sie Schmendrick. »Hast du sie gemacht? Kannst du das jetzt? Einfach Dinge machen?« Des Königs Verblüffung war wie ein Echo auf ihr Erstaunen.
»Ich habe sie gefunden«, antwortete der Zauberer. »Doch unter Finden verstehe ich etwas anderes als du. Frag nicht weiter.« Er hob sie in den Sattel und sprang dann selber auf.
Also ritten die drei davon, und die Soldaten folgten zu Fuß. Niemand blickte zurück, denn es gab nichts zu sehen. Doch König Lír sagte, ohne sich umzudrehen: »Seltsam, an einem Ort zum Mann herangewachsen zu sein und dann zu sehen, wie dieser Ort verschwunden ist, wie sich alles verändert hat – und plötzlich ist man König. Ist denn nichts davon Wirklichkeit gewesen? Bin ich Wirklichkeit?« Schmendrick gab keine Antwort.
König Lír trieb zur Eile, doch Schmendrick bestand auf einer gemächlichen Gangart und auf zahlreichen Umwegen. Wann immer Lír unruhig wurde und schneller voran wollte, ermahnte ihn Schmendrick, Rücksicht auf seine Männer zu nehmen, die unberitten waren und dennoch während der gesamten langen Reise wunderbarerweise nie ermüdeten. Molly merkte bald, dass der Zauberer trödelte, um König Lír Zeit und Gelegenheit zu geben, sein Reich lang und aufmerksam zu betrachten. Zu ihrer eigenen Überraschung entdeckte sie, dass der Anblick des Landes sich lohnte.
Der Frühling hielt allmählichen Einzug in das öde Land, das früher Haggard gehört hatte. Ein Fremder hätte den Wandel nicht bemerkt, doch Molly sah, dass die ausgetrocknete Erde sich mit einem hauchzarten Grün überzog. Kümmerliche, verknorrte Bäume, die noch nie geblüht hatten, trieben Knospen und Blüten, so behutsam, wie eine Armee ihre Kundschafter ausschickt. Lang vertrocknete Flüsse begannen in ihren Betten wieder zu rauschen und brausen, und überall rief kleines Getier sich fröhlich zu. Gerüche trieben vorüber in Schwaden und Bändern: blasses Gras und schwarzer Schlamm, Honig und Walnuss, Minze und Heu, verfaulendes Apfelbaumholz. Und sogar die Nachmittagssonne besaß jenen zarten, nasenkitzelnden Duft, der Molly wohlbekannt war. Sie ritt an Schmendricks Seite, sah dem sachten Frühlingseinzug zu und dachte darüber nach, wie er in ihr Einzug gehalten hatte: spät, doch dauerhaft.
»Einhörner sind hier durchgekommen«, wisperte sie Schmendrick zu. »Ist das der Grund dafür, oder König Haggards Fall und des Roten Stieres Verschwinden? Was ist es nur, was hier geschieht?«
»Alles«, antwortete Schmendrick, »alles, und alles zur gleichen Zeit. Es ist nicht ein Frühling, sondern fünfzig; nicht ein oder zwei entschwundene Schrecken, sondern tausend kleine Schatten wurden von dem Land genommen. Warte ab und halte die Augen offen.«
Und auf Lír gemünzt, fügte er hinzu: »Es ist auch nicht der erste Frühling, der je in dieses Land gekommen ist. Vor langer Zeit war es ein gutes Land, und es bedarf nur eines guten Königs, um wieder so zu werden. Schau, wie es vor deinen Augen weich wird und grün!«
König Lír sagte nichts, doch während des Rittes schweiften seine Augen links und rechts umher, konnten nicht anders, als das Reifen ringsum wahrzunehmen. Sogar im Tal von Hagsgate – voll böser Erinnerungen – sprossen alle möglichen Blumen: Akelei
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