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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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»Ich hatte es mir anders ausgemalt, aber ich wusste es die ganze Zeit.« Er brachte einen Ring zum Vorschein, an dem einige rostige Schlüssel baumelten. »Dir stehen die Dienste eines großen Magiers zu«, sagte er, »aber ich fürchte, du musst über die Hilfe eines zweitklassigen Taschendiebs froh sein. Einhörnern sind Dinge wie Not, Scham, Zweifel und Verpflichtungen unbekannt, aber Sterbliche nehmen, wie du wohl schon bemerkt hast, was sie –kriegen können. Und Rukh kann sich immer nur auf eine Sache konzentrieren.«
    Plötzlich wurde dem Einhorn bewusst, dass jedes Tier der Mitternachtsmenagerie wach war und lautlos zu ihm herübersah. Im Käfig nebenan schwankte die Harpyie schwerfällig von einem Fuß auf den anderen. »Schnell«, rief das Einhorn, »schnell!« Schmendrick war schon dabei, den Schlüssel in das kichernde Schloss zu stecken. Bei seinem ersten, erfolglosen Versuch verstummte das Schloss, als er aber einen anderen Schlüssel probierte, rief es laut und deutlich: »Hoho! Du bist vielleicht ein Zauberer!« Es klang wie Mammy Fortunas Stimme.
    »Du kannst mich gern haben«, murmelte Schmendrick; das Einhorn spürte ihn erröten. Er drehte den Schlüssel, und das Schloss sprang mit einem letzten verächtlichen Grunzen auf. Der Zauberer öffnete die Tür und sagte leise: »Steig hernieder, Lady. Du bist frei!«
    Das Einhorn trat geschmeidig heraus, und Schmendrick der Zauberer trat vor Verwunderung einen Schritt zurück. »Oh«, flüsterte er, »als die Gitter zwischen uns waren, sahst du ganz anders aus, kleiner und nicht so oh!«
    Es war wieder in seinem Wald; er war schwarz und feucht und verwüstet, weil es so lange ausgeblieben war. Aus weiter Ferne rief ihm jemand, aber es war daheim, wärmte die Bäume und weckte das Gras.
    Dann hörte es Rukhs Stimme; sie klang wie das Knirschen eines Bootes auf Kies. »He, Schmendrick! Ich geb’s auf! Was haben ein Rabe und ein Schreibtisch gemeinsam?« Das Einhorn barg sich im tiefsten Schatten, Rukh sah nur den Zauberer und den leeren Käfig, der jetzt viel kleiner war. Seine Hände fuhren in die Taschen und wieder heraus. »So ist das also, du dünner Dieb!« rief er und grinste unheilvoll. »Sie wird dich auf Stacheldraht ziehen und der Harpyie als Halsband umhängen.« Er drehte sich um, ging schnurstracks auf Mammy Fortunas Wagen zu.
    »Lauf!« rief der Zauberer und tat einen wunderlichen, wilden, wirbelnden Sprung, landete auf Rukhs Rücken und umwand den dunklen Mann so mit seinen langen Armen, dass er blind und taub ward. Sie stürzten zusammen zu Boden, Schmendrick rappelte sich als erster auf und heftete mit seinen Knien Rukhs Schultern an den Boden. »Stacheldraht!«, keuchte er. »Du Unrat, du Auswurf, du Einöde! Ich stopf’ dich mit Elend voll, bis es dir aus den Ohren quillt! Ich verwandle dein Herz in grünes Gras und deinen Erzfeind in ein Schaf. Ich mach’ dich zu einem schlechten Dichter, der schlecht träumt. Ich dreh’ dir die Zehennägel um, dass sie nach innen wachsen! Ich werd’ dir helfen!«
    Rukh schüttelte den Kopf und saß auf, wodurch Schmendrick zehn Schritt durch die Luft flog. »Was faselst du da?« lachte er. »Du bist ja zu schwach, um einen Nagel in die Wand zu schlagen!« Der Zauberer wollte sich aufrichten, Rukh stieß ihn jedoch wieder zu Boden und setzte sich auf ihn. »Ich konnte dich nie ausstehen«, sagte er freundlich. »Du bist eingebildet, und du bist nicht sehr stark.« Schwer wie die Nacht schlossen sich seine Hände um Schmendricks Hals.
    Das Einhorn sah es nicht; es stand vor dem hintersten Käfig, in welchem der Martichoras knurrte und winselte und sich flach an den Boden presste. Das Einhorn berührte mit der Spitze seines Hornes das Schloss, eilte, ohne sich umzusehen, zum Drachenkäfig. Es gab allen Tieren die Freiheit, dem Satyr, dem Zerberus und der Midgardschlange. Ihre Verzauberung fiel ab, sobald sie die Freiheit fühlten; sie sprangen, hinkten und krochen davon’, waren wieder Löwe, Affe, Schlange, Krokodil und glücklicher Hund. Keines von ihnen dankte dem Einhorn, und dieses sah ihnen nicht nach.
    Nur die Spinne schenkte ihm keine Beachtung, als es leise durch die offene Tür rief. Arachne webte an einem Netz, das in ihren Augen die schneeflockenartig herabschwebende Milchstraße war. Das Einhorn flüsterte: »Weberin, Freiheit ist besser! Freiheit ist besser!« Die Spinne hörte ’nicht hin, sie jagte in ihrem eisernen Webrahmen auf und ab. Keinen Augenblick rastete sie, auch nicht,

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