Das letzte Einhorn
sollte es nicht der sein, den das Einhorn eingeschlagen hat? Mag sein, wir sehen es niemals wieder, aber wir werden immer wissen, wo es sich aufgehalten hat. Komm, komm mit mir.«
So begannen sie ihre neue Wanderung, die sie mit der Zeit in den meisten Falten und Winkel der süßen, bösen runzligen Welt führte und auch wieder hinaus, bis sie endlich ihre eigene seltsame und wundervolle Bestimmung erreichten. Doch das geschah erst viel später; aber jetzt, keine zehn Minuten außerhalb des Reiches von König Lir, kam ihnen eine Jungfrau entgegengelaufen. Ihr Kleid war zerrissen und besudelt, doch Stoff und Schnitt verrieten die Herkunft, und obwohl ihr Haar aufgelöst und voller Kletten war, ihre Arme verkratzt und ihr schönes Gesicht arg verschmiert, konnte man sie für gar nichts anderes halten als für eine Prinzessin in großer Bedrängnis. Schmendrick stieg ab, um ihr zu Hilfe zu kommen, und sie umklammerte ihn mit beiden Händen, als wäre er eine Pampelmusenschale. »Zu Hilfe!« flehte sie ihn an. »Zu Hilfe! Au secours! Wenn du ein Mann mit Mut und Mitleid bist, so säume nicht und eile zu meiner Hilfe! Ich bin die Prinzessin Alison Jocelyn, die Tochter des guten König Giles, der meuchlerisch von seinem Bruder ward gemordet, dem blutigen Herzog Wolf, welcher meine drei Brüder, die Prinzen Corin, Colin und Calvin, gefangengenommen und in ein unmenschliches Gefängnis geworfen hat, als Geiseln, damit ich seinen fetten Sohn heirate, Lord Dudley, doch ich habe die Wächter bestochen und den Hunden etwas ins Fressen getan …«
Da hob Schmendrick der Zauberer die Hand, und sie verstummte, starrte ihn an aus weiten, fliederblauen Augen. »Vielschöne Prinzessin«, sprach er mit ernster Miene, »dein Retter ist soeben dorthin geritten«, und wies auf das Land, das sie vor kurzem verlassen hatten. »Nimm mein Pferd, du wirst ihn einholen, solange dein Schatten noch hinter dir ist.«
Er bot seine Hände dar als Steigbügel für die Prinzessin Alison Jocelyn, und sie stieg mühsam und sehr verwundert in den Sattel. Schmendrick drehte das Pferd herum. »Du wirst ihn mit Leichtigkeit einholen, denn er reitet sehr langsam. Er ist ein guter Mann und ein größerer Held, als irgendeine Sache wert ist. Ich werde alle meine Prinzessinnen zu ihm schicken. Sein Name ist Lir.«
Dann klatschte er dem Pferd aufs Hinterteil und schickte es auf den Weg, den König Lir genommen hatte. Und dann lachte er so lange, dass er hinterher zu schwach war, um hinter Molly aufzusitzen, und eine Weile neben ihrem Pferd hergehen musste. Als er wieder zu Atem kam, fing er zu singen an, und Molly stimmte mit ein. Und während sie zusammen dahinzogen, aus dieser Geschichte in eine andere, sangen sie:
»Ich bin kein König, bin kein Lord,
bin nicht einmal Soldat«, sprach er,
»ich bin nur ein Harfner, und ein armer dazu,
doch deine Hand, die begehre ich sehr.«
»Und wärst du ein Lord, solltest mein Lord du sein,
und wäre dein Beutel auch leer,
und als Harfner sollst allein mein Harfner du sein,
denn was kümmern mich Gut und Ehr?
Denn was kümmern mich Gut und Ehr’?«
»Und wenn aus großer Lieb’ gelogen ich hätt’?
Wenn gar kein Harfner ich wär’?«
»Dann werd’ ich dich lehren, zu spielen und singen,
denn solch eine Harfe bekomm’ ich nicht mehr!«
ENDE
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