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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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Mitleid mit Hagsgate, Fremde, denn auf der ganzen elenden Welt kann es keine unglücklichere Stadt geben!«
    »Verloren, verloren, verloren«, wimmerten die Hagsgater. »Elend über Elend!« Molly Grue sah ihnen zu, ohne etwas zu sagen; Schmendrick aber sagte respektvoll: »Ein erstklassiger Fluch, die Arbeit eines Fachmanns! Meine Rede ist: Was auch immer du zu erledigen hast, geh zum Spezialisten! Auf die Dauer lohnt es sich!« Drinn runzelte die Stirn, Molly stieß Schmendrick unterm Tisch an. Der Zauberer blinzelte. »Oh! Und was wünscht ihr nun von mir? Ich warne euch, ich bin kein sehr großer Zauberer, aber wenn ich es kann, werde ich den Fluch gern von euch nehmen.«
    »Ich überschätze dich gewiss nicht«, antwortete Drinn, »aber so, wie du bist, taugst du so viel wie jeder andere. Den Fluch lassen wir auf sich beruhen. Wird er von uns genommen, so werden wir wohl nicht wieder arm wie zuvor, doch unser Reichtum wird nicht mehr zunehmen – und das wäre genau so schlimm. Nein, unsere wirkliche Aufgabe besteht darin, Haggards Festung vor dem Fall zu bewahren, und da der Held, der sie zerstören soll, nur aus Hagsgate kommen kann, sollte das wohl möglich sein. Zum einen gestatten wir es keinem Fremden, sich hier anzusiedeln. Wir halten jeden fern, mit Gewalt, wenn es sein muss, aber meistens mit List. Jene dunklen Geschichten über Hagsgate, die du erwähnt hast – die haben wir selber erfunden und in Umlauf gesetzt, so weit wir nur konnten, um Besucher fernzuhalten.« Er lachte stolz, wodurch er noch hohlwangiger aussah.
    Schmendrick stützte das Kinn auf die Fingerknöchel und sah Drinn mit einem versiegenden Lächeln an. »Wie ist das mit euren eigenen Kindern?«, fragte er. »Wie könnt ihr verhindern, dass eines von ihnen heranwächst und den Fluch erfüllt?« Er schaute sich in der Gaststube um, betrachtete schläfrig jedes einzelne der faltigen Gesichter, die ihn ansahen. »Mir fällt auf, dass es in eurer Stadt keine Kinder zu geben scheint. Um welche Zeit schickt man sie denn in Hagsgate zu Bett?« Niemand antwortete ihm. Molly hörte, wie ihnen das Blut in Ohren und Augen rauschte, sah, dass ihre Haut sich kräuselte wie Wasser unterm Wind. Endlich sagte Drinn: »Wir haben keine Kinder. Seit dem Tag, als der Fluch uns traf, haben wir keine mehr bekommen.« Er hustete in seine Faust und fuhr fort: »Das schien der einfachste Weg zu sein, den Plan der Hexe zu durchkreuzen.«
    Schmendrick warf den Kopf zurück und lachte lautlos, lachte, bis die Fackeln noch stärker tanzten. Molly merkte, dass er betrunken war. Drinn biss sich auf die Lippen; seine Augen wurden hart wie gesprungenes Porzellan. »Ich sehe nichts an unserem traurigen Los, worüber man lachen könnte«, sagte er sanft, »nicht das Allergeringste!«
    »Nichts«, gurgelte Schmendrick und beugte sich über den Tisch, wobei er seinen Wein verschüttete, »nichts, Verzeihung, nichts, gar nichts.« Unter den zornigen Blicken aus zweihundert Augen gelang es ihm, die Fassung wiederzugewinnen und Drinn ernsthaft zu antworten: »Mir scheint, ihr habt also gar keine Sorgen, jedenfalls keine großen Sorgen.« Ein Gelächterchen entschlüpfte seinen Lippen, wie Dampf einem Teekessel.
    »So mag es scheinen.« Drinn beugte sich vor und berührte mit zwei Fingern Schmendricks Handgelenk. »Doch habe ich dir nicht die ganze Wahrheit erzählt. Vor einundzwanzig Jahren wurde in Hagsgate ein Kind geboren. Wir fanden nie heraus, wessen Kind es war. Ich selbst habe es gefunden, als ich in einer Winternacht über den Marktplatz ging. Es lag auf einem Fleischerblock; obgleich Schnee fiel, weinte es nicht, denn es lag behaglich und geborgen unter einer Decke aus herrenlosen Katzen. Die Tiere schnurrten alle miteinander, eine Musik, die schwer von Wissen und Bedeutung war. Lange bin ich an dieser seltsamen Wiege gestanden und habe gegrübelt, während der Schnee fiel und die Katzen Weissagungen spannen.« Er hielt inne, und Molly Grue sagte eifrig: »Du hast das Kind natürlich mit nach Hause genommen und es als dein eigenes aufgezogen?« Drinn legte seine Hände flach auf den Tisch.
    »Ich verjagte die Katzen«, sagte er, »und ging allein nach Hause.« Mollys Gesicht verfinsterte sich. Drinn zuckte leicht die Achseln. »Ich erkenne eine Heldengeburt, wenn ich sie sehe«, sagte er. »Omen und Wunder, Schlangen an der Wiege. Wären die Katzen nicht gewesen, hätte ich das Kind vielleicht gerettet, doch sie haben das Ganze so offensichtlich gemacht, so

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