Das letzte Experiment
loswerden, ist es das?»
«Wie ich Ihnen bereits sagte – viele Male gesagt habe –, in Argentinien ist es besser, man weiß alles, als dass man zu viel weiß. Wie zum Beispiel Isabel Pekerman. Das Land für immer zu verlassen, ist die einzige Möglichkeit für einen Mann, der nicht verschwinden will.» Er grinste sein infernalisches Grinsen. «Ich hoffe, ich habe mich diesmal unmissverständlich ausgedrückt.»
«Sehr unmissverständlich. Ich hatte sowieso überlegt, das Land zu verlassen.»
«Urteilen Sie nicht so hart über uns. Was in Dulce geschah, ist bedauerlich, darin stimme ich Ihnen zu, aber es ist einige Jahre her. Direktive elf wurde als notwendig erachtet, um zu verhindern, dass zu viele Juden ins Land kommen. Sie kamen trotzdem immer weiter.Bald stellte sich die Frage, was man mit all den Juden machen sollte, die man verhaftet und interniert hatte. Bis man zu dem Schluss kam, dass es das Beste wäre, sie so schnell und unauffällig wie möglich verschwinden zu lassen.»
«Und deswegen hat Kammler in Argentinien ein eigenes Vernichtungslager gebaut.»
«Ja, allerdings in viel kleinerem Maßstab als alles, was er in Polen gebaut hat. Es waren nicht mehr als fünfzehn-, höchstens zwanzigtausend Juden. Seit damals haben sich die Dinge zum Besseren gewendet. Vergangenes Jahr wurde eine Amnestie für alle Ausländer ausgesprochen, die illegal ins Land gekommen sind. Es gibt keine illegalen Juden mehr, die in Lagern wie Dulce festgehalten werden. Die Personen, die verantwortlich waren für Direktive elf und Direktive zwölf, wurden inzwischen abgelöst. Heute gibt es wahrscheinlich noch weniger Antisemitismus als damals. Viele Juden sind heutzutage Peronisten. Perón selbst ist inzwischen der Meinung, dass die Juden imstande sind, Argentinien zu helfen. Dass ihr Geld und ihr Unternehmergeist unsere Wirtschaft ankurbeln. Wie sagt ihr Deutschen doch gleich? Warum das Huhn schlachten, das die goldenen Eier legt? Juden sind willkommen bei uns in Argentinien.»
Der Colonel hob einen Zeigefinger. «Alle Juden, bis auf eine Ausnahme. Es gibt eine Person, die gut daran täte, mit Ihnen an Bord der Fähre zu gehen. Anna Yagubsky.»
«Nie gehört, den Namen.»
«Ja, es ist bestimmt eine gute Idee …», fuhr der Colonel fort, ohne meinen Einwand zu beachten, «… eine gute Idee, wenn Señora Yagubsky Sie heute Nacht begleitet. Es könnte ungemütlich für sie werden, wenn sie hier in Argentinien bleibt.»
«Ich weiß nicht, wo sie steckt.»
«Nun, sie kann sich ja wohl schwerlich in Luft aufgelöst haben, oder? Und sie ist bestimmt nicht verschwunden. Ich muss es schließlich wissen, nicht wahr? Und weil sie nicht verschwunden ist, kann es nicht so schwierig sein, sie zu finden. Nicht für einenDetektiv wie Sie, Gunther. Um ihrer selbst willen hoffe ich es jedenfalls. Wer weiß? Vielleicht können Sie beide irgendwo anders glücklich werden? Sie sind vielleicht ein wenig alt für sie, aber ich glaube, manche Frauen mögen ältere Männer.»
«Was, wenn sie nicht mit mir kommen will? Ihre Eltern leben hier. Sie sind alt. Sie wird sie nicht im Stich lassen wollen.»
«Das wäre bedauerlich für Sie – Señora Yagubsky ist schließlich eine sehr schöne Frau –, doch für sie selbst wäre es ganz besonders tragisch.» Der Colonel erhob sich. «Ich hoffe, Sie genießen Ihre Fahrt nach Uruguay. Die Regierung des Landes ist stabil, demokratisch und politisch erwachsen. Es gibt sogar eine Wohlfahrt. Natürlich sind die Einwohner ausnahmslos europäischer Abstammung. Ich glaube, sie haben die Indianer vollkommen ausgerottet. Als Deutscher sollten Sie sich dort fast wie zu Hause fühlen.»
FÜNFUNDZWANZIG
BUENOS AIRES
1950
Ich brauchte drei Stunden, um Anna zu finden. Ihr Vater war keine Hilfe. Ich hätte ihn genauso gut fragen können, wo sich Martin Bormann versteckt hielt. Schließlich erinnerte ich mich, dass die Person, die über Isabel Pekerman wohnte und ihren «Selbstmord» gemeldet hatte, ebenfalls eine Freundin von Anna war. Ich wusste von ihr nur, dass ihr Name Hannah war und dass sie in Once lebte.
Once war eine hässliche Gegend. Geteilt durch die Calle Corientes und das jüdische Viertel, mit einem hässlichen Bahnhof, einer hässlichen Plaza davor und einem hässlichen Denkmal mitten auf der Plaza. In einer hässlichen Polizeistation, die bei den Einheimischen
miserere
genannt wurde, zeigte ich einem hässlichen Polizeibeamten vom Dienst meinen SID E-Ausweis und erkundigte mich
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