Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)
Bestattungsfirmen präsentieren. Es gibt, weit eher, zwingende Gründe, daran etwas zu ändern.
Unsere Gesellschaft hat vieles verlernt, was einmal ganz selbstverständlich zum Umgang mit dem Tod und zur Trauerkultur gehört hat. Gemeinschaftliche Rituale bezogen sich nicht nur auf das Begräbnis, sondern genauso auf das Andenken an den Toten. Mit zunehmender Säkularisierung gibt es immer weniger Totenmessen, Jahresgedächtnisse und andere Anlässe, die es dem Einzelnen ermöglichen, sich in einer Gemeinschaft der Verstorbenen zu erinnern. Erst geht die Form verloren, dann der Inhalt. Heute kommt es uns naiv vor, wenn wir hören, dass man früher ein totes Kind ein Engelchen genannt hat. Aber ob naiv oder nicht, wenigstens wurde das Kind den Eltern gegenüber immer wieder erwähnt. Heute, so scheint es, müssen Eltern große Anstrengungen unternehmen, damit ihr Kind nicht vergessen wird. Die meisten von ihnen haben nicht nur den Verlust zu verkraften, sondern auch die schmerzliche Erfahrung, dass die Umwelt sich so verhält, als habe ihr Kind nie existiert.
Es gibt heute viele Wege, sich seine Toten stehlen zu lassen. Nicht nur durch die Gerichtsmedizin und die Entsorgungsmentalität, sondern auch durch das Schweigen der Gemeinschaft.
Kreativer Ungehorsam
Jeder Mensch ist einzigartig. Leider ist davon bei einem Spaziergang über die meisten Friedhöfe nicht viel zu spüren. Die genormten Einheitsgräber vermitteln Trostlosigkeit. Enge Vorschriften verhindern eine persönliche Gestaltung des Grabes. So darf zum Beispiel eine Skulptur eine bestimmte Höhe nicht überschreiten; auch die maximale Größe des Grundrisses ist festgelegt, weil die Grabfläche zu 80 Prozent mit Bodendeckern bepflanzt werden muss. Konformismus erstickt jede Kreativität; sie macht aus Gräberfeldern Steinwüsten.
Vieles ist denkbar, was viele heute noch für Spinnerei halten: Warum soll mit einem Friedhof nicht gleichzeitig ein Park geschaffen werden, ein Ort, an dem die Gemeinschaft der Lebenden und der Toten zusammenkommt? Was ich mir wünsche, ist wenigstens die Qualität alter Friedhöfe, die man so gern besucht, weil die Monumente der Erinnerung dort über das Leben derer erzählen, an die sie erinnern. Was ist an ihre Stelle getreten? Enge Vorschriften für Grabsteine. Keine Schnörkel. Kein Hinweis auf das, was dem Verstorbenen wichtig war. Keine Skulptur, kein Tier. Katholische Friedhöfe verlangen ein christliches Symbol auf dem Stein, andernfalls wird er nicht genehmigt. Auf kommunalem Grund sind die Einschränkungen nicht geringer. So entsteht ein Einheitsbild – die typische Marmorwand mit Eselsrücken, breiter als hoch. »Familie Schmitz«, Ende. Mehr erfährt man nicht. Eine Gleichschaltung über den Tod hinaus, eine Vorstufe zur Anonymität.
Spaziergänge über moderne Friedhöfe sind langweilig. Viele Anlagen sind in ihrer Größe und Unüberschaubarkeit nicht einmal sicher – kein Wunder, dass ältere Frauen sich dort nicht wohlfühlen. Was tun, damit wieder Kreativität auf den Friedhöfen sichtbar wird? Vor allem: Mut zeigen. Sich trauen, einen eigenen Entwurf für den Grabstein einzureichen.
Vieles davon ist noch Utopie. Der Friedhof als Park, womöglich irgendwann eine freie Friedhofsordnung. Aber warum sollte in Deutschland nicht möglich sein, was sich in anderen europäischen Ländern bewährt hat? Wir sind sofort bereit, über Veränderungen in unserem Wirtschaftsleben nachzudenken, die im Zuge der Europäisierung und Globalisierung als nötig wahrgenommen werden. Doch wenn es um die individuelle Gestaltung des letzten Abschieds geht, folgen wir dem liberalen Beispiel vieler Nachbarländer nicht. Kaum hundert Kilometer von meiner Heimat entfernt ist es beispielsweise erlaubt, die Asche eines Verstorbenen mit nach Hause zu nehmen, sie auszustreuen, in einem Fluss oder auf einer Wiese. Selbst vergleichsweise exzentrischen Wünschen, wie der Beisetzung unter dem Rasen des geliebten Fußballvereins, wird in den Niederlanden nachgegeben. In den südeuropäischen Ländern sind der Gestaltung von Grabsteinen kaum Grenzen gesetzt – und im Urlaub spazieren wir bewundernd über Friedhöfe, die unseren eigenen Steinwüsten so gar nicht ähnlich sehen. Was spricht gegen die Familiengedenkstätte im eigenen Garten? Warum nicht die Urne der Mutter mitnehmen, wenn man umzieht, wie es heute so häufig vorkommt? Ein solches Handeln setzt aktive Verantwortung voraus. Die Toten bedürfen eines gewissen Schutzes, und es liegt
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