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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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Nachbar
Rosenmair ihn zum Flughafen.
    Der Richter fuhr auf den Parkplatz für Kurzparker und öffnete die
Tür.
    Becker wunderte sich ein wenig, stieg dann aber ebenfalls aus. Er
griff nach seinem Rollkoffer, der mit einem breiten Kofferband in
Regenbogenfarben verschnürt war. Rosenmair warf einen Blick darauf, während er
Beckers Handgepäck aus dem Kofferraum hob. »Wollen Sie jetzt doch nach San
Francisco?«, fragte er und zeigte auf das farbenfrohe Ensemble.
    Becker verstand nicht. »Wieso San Francisco, ich flieg doch nach New
York?«
    Rosenmair winkte ab und griff nach dem Koffer. »So, jetzt suchen wir
erst mal Ihr Gate.«
    Becker war das fast peinlich. »Sie hätten mich doch auch da vorne
schnell rauslassen können …«
    »Ja, ja. Ich hätte auch kurz an der Autobahnausfahrt langsamer
werden und Sie aus dem Auto schubsen können.«
    Becker lachte auf, war sich aber nicht ganz sicher, ob das wirklich
nur als Scherz gemeint war. Rosenmair traute er so einiges zu. Doch der grinste
jetzt breit. »Und das Gepäck hätte ich gleich hinterherwerfen können.
Regenbogen fliegen ja gut.« Er bedeutete Becker, ihm zu folgen. »Nein, um die
Wahrheit zu sagen, ich will die Gelegenheit nutzen, mal ein bisschen
internationale Zeitungslektüre zu besorgen, das ist in unserem beschaulichen
Waldniel ja nicht so einfach.«
    Becker dachte bei sich, dass er manchmal schon mit der
Wochenendausgabe der Rheinischen Post überfordert war, rein mengenmäßig. Er
ahnte ja nicht, dass die Wochenendausgabe der New York Times gern
Telefonbuchstärke annahm, und das ohne Werbebeilagen.
    Rosenmair ging vorweg und grummelte etwas von »wollte nur sicher
sein, dass Sie auch wirklich abfliegen«, aber in Wirklichkeit wusste er genau,
dass Becker ziemlich aufgeregt war, da war es vielleicht nicht verkehrt, seinen
Nachbarn ein bisschen zu unterstützen, moralisch und überhaupt.
    Nachdem Becker seinen Koffer aufgegeben und dabei festgestellt
hatte, dass ungefähr jeder zweite schwarze Reisekoffer mit einem identischen
bunten Regenbogenband umwickelt war, ging es ans Verabschieden. Rosenmair
warnte noch einmal vor der täuschend gefährlichen Freundlichkeit amerikanischer
Mitmenschen im Allgemeinen und des gesamten Servicepersonals im Speziellen,
dann schüttelten die beiden sich die Hand. Becker ging Richtung Abflughalle,
drehte sich aber noch einmal um und sah Rosenmair kritisch an. »Irgendwas ist
doch mit Ihnen.«
    Der Richter winkte ab, dann atmete er tief durch und nickte. »Na ja,
vielleicht wegen Rüttgers … Der ist ja bald weg.«
    Becker, der inzwischen wieder zurückgekommen war, sah ihn
entgeistert an. Wie konnte einen die vom Wähler getroffene demokratische
Entscheidung gegen eine Regierung so treffen? Zumal die Wahl ja noch gar nicht
über die Bühne gegangen war. Er hatte Rosenmair zudem bislang weder als CDU -nah, noch überhaupt einer politischen Partei
gegenüber auch nur annähernd wohlgesonnen erlebt.
    Rosenmair zuckte die Schultern. »Er bedeutet mir wohl doch mehr, als
ich zugeben will, der kleine Racker.«
    Jetzt verstand Becker. Wenn er Rosenmair auch durchaus zutrauen
würde, den regierenden Ministerpräsidenten als »kleinen Racker« zu bezeichnen,
hier war ganz offensichtlich der Hund gemeint, um den Rosenmair sich weiter
kümmern wollte, den er aber bald würde abgeben müssen.
    Becker legte Rosenmair die Hand auf die Schulter und tätschelte
seinen Arm, nur kurz, aber herzlich. Dann sagte er nichts weiter, sondern ging
einfach. Und das rechnete Rosenmair ihm hoch an, in diesem Moment.
    Nach seinem ergiebigen Einkauf im Pressecenter wankte der
Richter schwer beladen zu seinem Auto zurück. Eine andere Sache hatte er kurz
zuvor erledigt: Im Briefkasten am Flughafen lag jetzt eine Postkarte an
Karl-Heinz Lindner. Auf der Vorderseite war ein Kreuzfahrtschiff abgebildet,
auf der Rückseite stand: »Sicher sehr amüsant, aber ganz bestimmt ohne mich!«
    Er warf den Zeitungsstapel auf den Rücksitz und schaltete die
Zündung ein. Das Radio sprang an, es lief gerade ein Song, der seltsam
sympathisch rumpelte. Rosenmair wollte schon den Sender wechseln, ließ das Lied
dann aber doch laufen. Am Ende des Titels meldete sich der Radiomoderator zu
Wort: »Und das war ›Ain’t it strange‹ von Dr. Dog.« Rosenmair drehte
leiser und fuhr zufrieden los. Es passte, beides.

Was dann noch geschah:
    Die Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland
Nordrhein-Westfalen ging am 9. Mai 2010 für die amtierende CDU / FDP -Regierung

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