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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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Politiker einer liberal-konservativen Partei
weitestgehend in die Vorbereitungen zur anstehenden NRW -Wahl
eingebunden war, hatte man den gemeinsamen Las-Vegas-Urlaub für die Blitzheirat
genutzt, die Flitterwochen sollten dann später folgen. Rosenmair tippte auf
Hawaii oder Mallorca, je nach Wählervotum.
    Auf der Rückseite der Einladung hatte seine Tochter in schönster Schulschreibschrift
hinzugefügt: »Du kommst doch!? Marlene ist natürlich auch eingeladen.« Die
Anordnung von Ausrufe- und Fragezeichen hinter dem ersten Satz verdeutlichte,
dass es sich hier keinesfalls um eine Frage, und wenn, dann höchstens um eine
rhetorische handelte. Es hatte Rosenmair schon immer beschäftigt, was für
Auswirkungen die Reihenfolge solch gedoppelter Satzzeichen auf die Aussage,
Bedeutung und Dringlichkeit eines Satzes hatte. Ein klassisches Proseminarthema
an der Uni, vermutete er. Vielleicht sollte er sich mal für ein Gastsemester
irgendwo einschreiben.
    Viel wichtiger aber war natürlich der zweite Satz, das wusste auch
Ann-Britt, denn die kannte ihren Vater inzwischen ganz gut. Zwar waren die
beiden sich nie wirklich nah gewesen, hatten sich zwischenzeitlich auch mal
regelrecht aus den Augen verloren. Aber gerade in letzter Zeit hatte Ann-Britt
verstärkt den Kontakt zu ihrem Erzeuger gesucht. Ohne Marlene, die sich zwar
vor mehr als zwanzig Jahren von ihm hatte scheiden lassen, aber nach wie vor
eine wichtige, wenn nicht gar die wichtigste Rolle in seinem Leben spielte,
wäre Rosenmair nirgendwo hingekommen, schon gar nicht zur Hochzeit seiner
Tochter. Dass deren leibliche Mutter dort auftauchen würde, war nämlich leider
auch zu erwarten. Ann-Britt war das Ergebnis jenes Seitensprungs, den Rosenmair
immer nur als »größten Fehler meines Lebens« bezeichnete. Damals hatte sich
Marlene von ihm getrennt. Zum Glück waren sie sehr schnell darauf gekommen,
dass sie füreinander da sein würden, wenn auch nicht mehr als Eheleute. Und
jetzt wohnte Rosenmair schon seit mehr als einem Jahr in dem Häuschen im
beschaulichen Waldniel, das Marlene von ihrer Tante Hedwig geerbt hatte.
    Er war nach seiner Zeit in den USA auf
Marlenes Wunsch hierhergezogen, wobei ihm die Orts- und Luftveränderung ganz
recht gewesen war. Nach der dramatischen Geschichte mit den ermordeten Nordic
Walkern seines Sportkurses, bei der Rosenmair selbst im Mittelpunkt einer Reihe
von Mordanschlägen gestanden hatte, war er in Waldniel tatsächlich ganz
heimisch geworden. Er traf sich mit seinem alten Schulfreund und neuen Hausarzt
Jan Hermann, mittlerweile sogar regelmäßig alle zwei Wochen, immer noch zum
Nordic Walking. Wobei »regelmäßig« meist bedeutete, dass Hermann ihn einen Tag
vor der Verabredung anrief, um sich Rosenmairs neueste Ausrede anzuhören. Da
aber auch Hermann immer mal wieder aus beruflichen Gründen absagen musste,
kamen beide mit diesem Arrangement ganz gut zurecht. Manchmal missbrauchte
Rosenmair den frankokanadischen Koch J.P. und
dessen Frau Catherine, die ihr Restaurant »Zur Pulvermühle« eher unter
Ausschluss der Öffentlichkeit im Elmpter Wald betrieben, als eine dieser
Ausreden, was bisweilen absurde Züge annahm. So versicherte Rosenmair etwa, er
könne heute nicht walken, J.P. habe einen »akuten
Kasserolle-Notfall« oder müsse mit ihm unbedingt die Vor- und Nachteile glatter
oder krauser Petersilie diskutieren, und zwar sofort und auf der Stelle. Und
schon wusste Jan Hermann Bescheid.
    J.P. und Catherine waren so etwas wie
seine Ersatzfamilie geworden, vielleicht sogar seine besten Freunde, wobei er
das nie zugegeben hätte, schon gar nicht Marlene gegenüber. Die zog ihn gern
mal damit auf, dass er, der grantelnde Menschenhasser, der keine Freunde
brauchte, hier in Waldniel plötzlich von einem wahren Circle
of friends umgeben war. Was dann stets zur Folge hatte, dass Rosenmair
ihr mindestens eine Viertelstunde lang den ihr wohlbekannten Vortrag darüber
hielt, wer in seiner Umgebung gerade wieder unerträglich, ungezogen oder schlicht
unmöglich gewesen war.
    »Was heißt hier ›Circle of friends‹ ? Nur
weil zufällig drei, vier einigermaßen erträgliche Menschen in der gleichen
Gegend wohnen und ich die auch noch kenne, sind wir kein Zirkel. Das sind immer
noch eigenständige und vor allem denkende Menschen. Und wenn ich hier überhaupt
von irgendetwas mehrheitlich umgeben bin, dann von einem Zirkus – dem Circus of brainless !«
    Rosenmair wusste, Marlene freute sich insgeheim sogar ein

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