Das letzte Relikt
konnte es jetzt schon kaum noch abwarten. Im Stillen schwor er sich, dass er sein Postfach nie wieder so sträflich vernachlässigen würde. Sobald er aufgelegt hatte, räumte er die gespendeten Fossilien weg, wobei er sich aus lauter Gewohnheit streng an die Vorschriften hielt, dann schnappte er sich seine Jacke und ging zur Tür.
Mitchell kam gerade herein, in der Hand eine Tüte von Burger King. »Hey, Bones, warum so eilig?«
»Hab was in meinem Büro vergessen«, sagte Carter, während er sich an ihm vorbeidrückte.
»Viel Glück«, sagte Mitchell, »wahrscheinlich haben sie schon übers Wochenende dichtgemacht.«
Genau das befürchtete Carter. »Du hattest übrigens recht mit dem Kieferfragment«, rief er über die Schulter, als er um die Ecke bog. »Es ist ein
Smilodon
.«
Das Büro des Fachbereichs war tatsächlich bereits geschlossen, als Carter außer Atem dort ankam. Durch die Glastür konnte er sein Postfach sehen, den obersten Schlitz im hölzernen Schrank, bis zum Platzen vollgestopft. Er erkannte sogar einen dieser unverwechselbaren FedEx-Umschläge mit den dicken Blockbuchstaben ganz oben auf dem Stapel. Entgegen aller Vernunft rüttelte er am Türgriff, aber es war natürlich abgeschlossen.
In diesem Moment hörte er den Hausmeister, Hank, der irgendwo im Korridor seinen Mopp in einen Eimer tauchte.
»Hank, sind Sie das?«, rief er laut und bog um die Ecke.
Hank blickte auf, den Mopp immer noch im Blecheimer. »Was ist los, Professor?«
»Können Sie mir einen riesigen Gefallen tun? Können Sie das Fachbereichsbüro kurz für mich aufschließen?«
»Sie wissen doch, dass ich das nicht darf.«
»Ja, ich weiß, Hank, und normalerweise würde ich Sie auch nie darum bitten. Aber im Büro ist etwas, das ich unbedingt heute Abend noch haben muss.«
Hank atmete hörbar aus, strich mit der Hand über seinen kahlen Schädel und schob schließlich den Eimer samt Mopp an die Wand. »Ich habe das nie getan, verstanden?«
»Nie.«
Hank trottete zur Bürotür, sperrte sie auf und wartete, während Carter sich den FedEx-Umschlag aus seinem Postfach schnappte. Er war dick und schwer, und Carter überprüfte den Absender, um sich zu vergewissern, dass es der richtige war. Tatsächlich, er kam von Joe Russo aus Rom. »Das ist es, was ich gebraucht habe«, sagte er und zeigte Hank das Päckchen. »Sie haben mir das Leben gerettet.«
Hank nickte und schloss das Büro wieder ab. »Allerdings.«
Am liebsten hätte Carter den Umschlag an Ort und Stelle aufgerissen und den Inhalt begutachtet und gelesen, doch inzwischen war es fast sieben, und er war mit Beth und ihren Freunden Abbie und Ben Hammond in Minetta’s Tavern zum Abendessen verabredet. Der Briefumschlag würde warten müssen, doch zumindest hielt er ihn jetzt in den Händen. Andernfalls hätten die Chancen nicht besonders gut gestanden, dass er in der Nacht, oder eher das ganze Wochenende über, Schlaf gefunden hätte.
Das Restaurant war nur ein paar Blocks entfernt, und als er ankam, entdeckte er Beth und die Hammonds an einem Tisch in der Nähe der Bar, wo sie sich einen Vorspeisenteller teilten.
»Gut, dass ihr nicht gewartet habt«, sagte Carter, beugte sich vor und küsste Beth auf die Wange.
»Das wäre uns nie in den Sinn gekommen«, sagte Ben und spießte eine Olive auf.
Carter lachte, zog den freien Stuhl hervor und setzte sich. Auf dem Tisch stand eine halbleere Karaffe mit Wein, und er schenkte sich ein Glas ein. Ben trug immer noch seinen Banker-Anzug, und Abbie, die bei einer Agentur arbeitete, deren Name Carter sich nie merken konnte, trug ein Kostüm, rot mit weißen Biesen an Revers und Kragen. Auf Carter wirkte sie, als wollte sie für eine Rolle als Gattin des Weihnachtsmanns vorsprechen.
»Was ist in dem Päckchen?«, fragte Abbie. »Du klammerst dich daran, als sei es das Gewinnerlos der Fernsehlotterie.«
»Ach, nur etwas Arbeit für später.«
Aber Beth, die in ihm lesen konnte wie in einem offenen Buch, legte den Kopf schräg und lächelte neugierig. Sie wusste, dass mehr dahintersteckte.
»Was ist das hier?«, fragte Carter in der Hoffnung, das Thema zu wechseln, und deutete auf einen Haufen Fotos, die auf dem Tisch verteilt lagen. Auf einem erkannte er eine kurvenreiche Landstraße, auf dem nächsten ein altes Farmhaus mit breiter Veranda.
»Sie haben sich ein Landhaus gekauft«, sagte Beth begeistert. »Im Norden.«
»In Hudson«, erklärte Abbie stolz. »Mit anderthalb Hektar Land und einer alten
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