Das letzte Relikt
Reihe anderer Patienten wartete. Die Schwester, die ihm den Raum gezeigt hatte, sprach gerade am Telefon mit jemandem.
Carter fing ihren Blick auf. Immer noch redend, streckte sie die Hand aus.
Erwartete sie tatsächlich, dass er ihr den Becher einfach so in die Hand drückte?
Er tat es. Sie stellte ihn neben das Terminbuch, lächelte und winkte ihm zum Abschied zu.
Carter hatte das Gefühl, gerade den seltsamsten Morgen seines Lebens erlebt zu haben, und dabei war es noch nicht einmal zehn Uhr. Zumindest hatte er jetzt noch genügend Zeit, um zum Flughafen zu fahren und Joe abzuholen. Nur zu schade, dass er nicht vorher noch einmal nach Hause konnte. Er hatte gerade unheimlich Lust auf Beth.
Am Flughafen sah er, dass Joes Flug pünktlich landen würde, ein Wunder, wenn man bedachte, dass es ein internationaler Flug war. Da er so früh dran war, hatte er noch Zeit, um zu Hause anzurufen. Beth nahm nach dem zweiten Klingeln ab.
»Ich hätte dich heute Morgen gut gebrauchen können«, sagte Carter.
Beth lachte. »Ich glaube, das ist nicht erlaubt.«
»Sollte es aber.«
»Wie war es? Sehr gruselig?«
»Ziemlich.«
»Ich weiß es zu schätzen, dass du hingegangen bist. Es bedeutet mir viel.«
»Na ja, das ist schließlich auch mein Projekt.«
»Ich weiß«, sagte sie leise. »Und wegen heute Morgen … Ich mache es wieder gut, wenn du nach Hause kommst.«
»Das könnte leichter gesagt als getan sein. Vergiss nicht, ich werde gut zweihundertfünfzig Pfund Italien im Gepäck haben.«
»Soll ich einkaufen gehen und etwas zu essen besorgen? Vielleicht ist er müde und will einfach nur ein ruhiges Abendessen zu Hause.«
Obwohl Carter nichts dazu sagen wollte, wusste er, dass Beths Vorstellung von einem ruhigen Abendessen zu Hause in leichter Kost bestand. Unmengen von Salaten und frischem Gemüse, mit vielleicht einer Hühnchenbrust ohne Kruste pro Person. Für Joe Russo waren das Appetithäppchen, und noch nicht einmal besonders verlockende.
Nein, Carter hatte vor, mit ihm auszugehen, vielleicht in ein Steakhouse wie das Morton’s oder The Palm. »Lass uns sehen, wie er sich fühlt, wenn er ankommt.«
»Okay. Ich werde den ganzen Tag mal unterwegs und mal zu Hause sein.«
Carter hörte eine Ansage über Lautsprecher, irgendetwas über einen Alitaliaflug aus Rom, also verabschiedete er sich und ging zur Ankunftshalle. Nachdem er ewig gewartet hatte, sah er einen Schwung Passagiere, die aus der Gepäckausgabe und der Zollkontrolle herausströmten. Wie alle anderen Wartenden musste er hinter einer Glaswand ausharren und die Menge nach der einen Person absuchen, die er abholen wollte. Die Menschen um ihn herum sahen alle eindeutig italienisch aus, zumindest viele von ihnen, in ordentlich geschneiderten Anzügen, glänzenden Sonnenbrillen und kleinen polierten Lederschuhen. Eine Frau in einem Pelzmantel trug eine Gucci-Tasche, aus der neugierig ein winziger Hund hervorlugte.
Und dann entdeckte Carter seinen Freund. Mit einem Kleidersack über der Schulter trottete er schwerfällig vor sich hin, einen vollgestopften Koffer in der Hand und eine ramponierte Reisetasche unter den Arm geklemmt. Als er vorbeikam, klopfte Carter an das Glas. Joe blickte auf und hob grüßend das Kinn, den einzigen Körperteil, der nichts zu schleppen hatte. Carter deutete den Korridor hinunter auf den Ausgang, dann ging er los, um Joe dort zu treffen.
»
Mio fratello
«, rief Carter, die Arme weit ausgebreitet, als Joe herauskam.
»
Dottore!
«
Joe ließ Koffer und Kleidersack fallen, und sie umarmten sich und klopften einander auf die Schultern. Obwohl Carter über einen Meter achtzig groß und langgliedrig war, kam er sich in Joes bärenartiger Umklammerung wie ein Zwerg vor. Joe verströmte diesen abgestandenen Geruch aus der Flugzeugkabine, und sein schwarzer stoppeliger Bart kratzte an Carters Wange.
»Es ist einfach klasse, dich zu sehen«, sagte Carter und löste sich aus der Umarmung. »Wie war der Flug?«
Joe zuckte die Achseln. »Wie sind Flüge schon? Zu lang und viel zu wenig Platz.«
Carter hob seinen Koffer auf. »Komm, wir nehmen uns ein Taxi.«
»Ich sterbe, wenn ich keine Zigarette bekomme.«
»Dann solltest du besser eine rauchen, bevor wir ins Taxi steigen. Es gibt keine Rauchertaxis hier.«
Joe verdrehte die großen dunklen Augen, wie ein Wasserbüffel, der im Matsch stecken geblieben ist, und blieb stehen. »Heißt es nicht immer, New York City sei zivilisiert?«
Carter legte den Kopf schräg und
Weitere Kostenlose Bücher