01 - So nah am Paradies
PROLOG
Schreien Sie ruhig, Mrs. O'Hara." Ihre Atemzüge kamen keuchend, und der Schweiß lief ihr die Schläfen hinunter. „Molly O'Hara bringt ihre Kinder nicht schreiend zur Welt."
Sie war keine große Frau, aber ihre Stimme, selbst bei normaler Lautstärke, füllte den ganzen Raum. Es war eine volltönende, melodische Stimme, selbst jetzt, wo sie nur unter Anstrengung sprechen konnte. Erst vor wenigen Minuten hatte ihr Mann sie Hals über Kopf ins Krankenhaus gebracht.
Für vorbereitende Maßnahmen, beruhigende Worte oder Händchenhalten hatte es keine Zeit mehr gegeben. Der diensthabende Arzt hatte nur einen Blick auf sie werfen müssen und sie, angekleidet wie sie war, in die Entbindungsstation gebracht.
Die meisten Frauen hätten Angst gehabt - in einer fremden Stadt von Fremden umgeben zu sein, in deren Händen die Verantwortung für das eigene Leben und das des Babys lag, das sich seinen Weg in die Welt erkämpfte. Molly O'Hara hatte auch Angst. Aber um nichts in der Welt hätte sie sich das anmerken lassen.
„Sie scheinen eine ganz Zähe zu sein." Die Entbindungsstation war überheizt, und auch dem Arzt stand der Schweiß auf der Stirn.
„Alle O'Haras sind zäh", gelang es ihr zu erwidern, obwohl sie am liebsten nur noch schreien würde, nur noch den Schmerz herausschreien würde. Das Baby kam früh, sie betete nur, dass es nicht zu früh sei. Die Wehen folgten jetzt schnell aufeinander und ließen Molly keine Möglichkeit, Kraft für die nächste zu sammeln.
„Wir können nur froh sein, dass Ihr Zug nicht fünf Minuten Verspätung hatte, sonst hätten Sie Ihr Baby dort bekommen. So, und jetzt nicht nachlassen, tief ein- und ausatmen."
Sie überhäufte ihn mit Verwünschungen, die sie in den sieben Ehejahren mit Frank gelernt hatte, in sieben langen Jahren, in denen sie in unzähligen schäbigen Clubs unzähliger Städte aufgetreten waren.
Der Arzt lachte nur. „So ist es gut. Pressen, Mrs.
O'Hara. Wir holen jetzt das Baby mit Elan heraus."
„Ich werde Ihnen zeigen, was Elan ist", versprach sie noch, wäh
rend sie mit der letzten Schmerzwelle presste. Und mit einem lauten Schrei kam das Baby zur Welt.
Mit Tränen in den Augen beobachtete Molly, wie der Arzt den kleinen Körper herumdrehte. „Es ist ein Mädchen."
Lachend sank sie zurück. Ein Mädchen. Sie hatte es geschafft. Frank würde stolz auf sie sein. Und erschöpft lauschte Molly auf die ersten Lebensschreie ihrer Tochter.
„Ich brauche ihr nicht einmal einen Klaps zu geben. Sie ist nicht gerade übergewichtig, Mrs.
O'Hara, aber sie ist wunderschön."
„Natürlich. Und hören Sie sich diese Lungen an.
Sie wird noch das Publikum in der letzten Reihe umwerfen. Etwas Übung und ... Oh, Himmel."
Eine neue Wehe brachte unerwartet neue heftige Schmerzen.
„Halten Sie sie." Der Arzt reichte das Baby einer Schwester und wies eine andere an, Mollys Schultern zu umfassen. „Sieht aus, als ob Ihre Tochter Gesellschaft bekommt."
„Um Himmels willen, noch eins?" Molly lachte gepresst. „Verdammt noch mal, Frank. Es gelingt dir doch immer wieder, mich zu überraschen."
Der Mann im Warteraum ging nervös auf und ab.
Doch selbst in dieser Situation war sein Gang elastisch. Er war ein Mann, der ebenso häufig tanzte, wie andere sangen. Aus seinen Augen glänzte ungebrochener Optimismus. Ab und zu strich er einem kleinen Jungen über den Kopf, der auf einem Stuhl immer wieder eindöste.
„Ein kleines Brüderchen oder Schwesterchen für dich, Terence. Sie werden jeden Moment kommen, um es uns zu verraten."
„Ich bin müde, Dad."
„Müde?" Lachend nahm der Mann den Jungen in die Arme. „Jetzt ist keine Zeit zum Schlafen, Junge.
Jetzt ist ein großartiger Augenblick. Ein weiterer O'Hara wird geboren. Das ist eine Erstaufführung."
Terence ließ den Kopf an die Schulter seines Vaters sinken. „Aber nicht im Theater."
„Dafür haben wir andere Abende." Nur ganz kurz bedauerte Frank die abgesagte Show. Doch es würde selbst hier, in Duluth, Clubs geben. Und er würde schon eine oder zwei Vorstellungen abmachen können, bevor sie Weiterreisen könnten.
Er war der geborene Entertainer, der singend und tanzend durchs Leben zog, und er dankte seinem Glücksstern, dass seine Molly aus gleichem Holz geschnitzt war. Sicher, bisher hatten sie zweitklassige Clubs und verräucherte Säle abgeklappert, aber ihre Zeit war noch nicht vorbei.
Der große Durchbruch stand immer mit dem nächsten Auftritt bevor. „Du wirst sehen, wir
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