Das letzte Revier
Ich konnte den Schieber nicht zurückziehen.«
»Aber Sie haben es versucht?«
»Brauchen Sie einen Übersetzer oder was?«, explodier t Marino. Die unheimliche Art, wie er M.I. Calloway anstarrt, erinnert mich an den roten Punkt, mit dem ein Laserzielgerät die Stelle einer Person markiert, an der die Kugel einschlagen wird. »Der Schieber war nicht zurückgezogen, und sie hat nicht geschossen, kapiert?«, sagt er langsam und schroff.
»Wie viele Patronen sind im Magazin?«, wendet er sich an mich. »Achtzehn? Es ist eine Glock Siebzehn, das heißt, achtzehn im Magazin, eine im Lauf, richtig?«
»Ich weiß es nicht«, sage ich zu ihm. »Wahrscheinlich keine achtzehn, bestimmt nicht. Es ist schwer, so viele Patronen zu laden, weil die Feder so stark gespannt ist, die Feder im Magazin.«
»Stimmt, stimmt. Kannst du dich erinnern, wann du das letzte Mal damit geschossen hast?«, fragt er mich.
»Wann immer ich zuletzt auf dem Schießstand war. Das ist Monate her.«
»Und du putzt deine Waffen immer, nachdem du auf dem Schießstand warst, stimmt's, Doc.«
Das ist eine Feststellung, keine Frage. Marino kennt meine Gewohnheiten und Routinen.
»Ja.« Ich stehe mitten in meinem Schlafzimmer und blinzle. Ich habe Kopfschmerzen, und das Licht schmerzt in meinen Augen.
»Haben Sie die Pistole gesehen, Calloway? Ich meine, Sie haben sie doch untersucht, oder?« Wieder fixiert er sie mit seinem Laserblick. »Also, worum geht es?« Er macht eine wegwerfende Handbewegung, als wäre sie eine dumme Nervensäge. »Erzählen Sie, was Sie gefunden haben.«
Sie zögert. Ich spüre, dass sie in meiner Gegenwart nicht mit den Informationen herausrücken will. Marinos Frage hängt schwer in der Luft wie Feuchtigkeit, die sich gleich irgendwo niederschlagen wird. Ich entscheide mich für zwei Röcke, eine n marineblauen und einen grauen, und lege sie auf den Stuhl.
»Es waren vierzehn Patronen im Magazin«, sagt Calloway in roboterhaftem, militärischem Ton. »Im Lauf war keine Patrone. Der Schieber war nicht zurückgezogen. Und sie war sauber.«
»Tja. Der Schieber war nicht zurückgezogen, sie hat also nicht geschossen. Und es war dunkel, und es stürmte, und drei Indianer saßen um ein Lagerfeuer. Sollen wir uns weiter im Kreis drehen, oder können wir weitermachen?« Er schwitzt, und mit der Temperatur nimmt auch sein Körpergeruch zu.
»Hören Sie, ich habe der Sache nichts Neues hinzuzufügen«, sage ich und bin plötzlich nahe daran, in Tränen auszubrechen. Mir ist kalt, ich zittere und rieche erneut Chandonnes schrecklichen Gestank.
»Und warum war dieses Glas bei Ihnen zu Hause? Und was genau war darin? Das Zeug, das Sie auch im Leichenschauhaus verwenden, richtig?« Calloway stellt sich so hin, dass Marino nicht mehr in ihrem Blickfeld ist.
»Formalin. Eine zehnprozentige wässrige Lösung von Formaldehyd, bekannt als Formalin«, sage ich. »In der Pathologie wird es benutzt, um Gewebe zu konservieren. Organproben. In diesem Fall war es Haut.«
Ich habe einem anderen Menschen eine ätzende Che mikalie in die Augen geschüttet. Ich habe ihn zum Krüppel gemacht. Vielleicht wird er für immer blind bleiben. Ich stelle ihn mir vor, wie er an ein Bett geschnallt in der Gefängnisstation im neunten Stock des Medical College von Virginia liegt. Ich habe mein eigenes Leben gerettet und verspüre keinerlei Befriedigung darüber. Ich fühle mich nur kaputt.
»Sie hatten also menschliches Gewebe im Haus. Haut. Eine Tätowierung. Von dieser nicht identifizierten Leiche im Hafen? Der Mann im Container?« Der Klang von Calloways Stimme, die Geräusche ihres Stifts, ihres Notizblocks erinnern mich an Reporter. »Ich will nicht begriffsstutzig erscheinen, aber waru m hatten Sie so etwas zu Hause?«
Ich erkläre, dass es uns sehr schwer fiel, die Leiche aus dem Hafen zu identifizieren. Wir hatten nichts weiter als eine Tätowierung, und letzte Woche war ich in Petersberg, wo sie sich ein erfahrener Tattoo-Künstler ansah. Danach fuhr ich direkt nach Hause, weswegen die Tätowierung in dem Glas mit Formalin gestern Abend zufällig in meinem Haus war.
»Normalerweise hätte ich so etwas nicht zu Hause«, füge ich hinzu.
»Eine Woche lang war das Glas in Ihrem Haus?«, fragt sie und sieht mich zweifelnd an.
»Es ist eine Menge passiert. Kim Luong wurde ermordet. Meine Nichte wäre fast bei einer Schießerei in Miami ums Leben gekommen. Ich musste ins Ausland reisen, nach Lyon, Frankreich. Interpol wollte mich sprechen, wollte
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