Das Letzte Ritual
übernachtet habe?«, sagte sie, während sie mit ihrem Reiseköfferchen auf das Gebäude zuging. »Seit meiner Scheidung.«
»Sie machen Witze«, entgegnete Matthias und nahm seine Tasche.
»Nein, ich schwöre es«, sagte Dóra. »Es war ein letzter Versuch, unsere Ehe zu retten. Vor zwei Jahren haben wir einen Wochenendtrip nach Paris gemacht. Seitdem war ich nicht mehr im Ausland oder in einem Hotel. Seltsam.«
»Der Trip nach Paris hat also keine Wunder bewirkt?«, fragte Matthias und hielt ihr die Tür auf.
Dóra schnaubte. »Nicht direkt. Da waren wir nun, um einen letzten Versuch zu unternehmen, unsere Beziehung zu retten, und anstatt bei einem Glas Wein über unsere Probleme zu sprechen, bat er mich andauernd, Fotos von ihm vor irgendwelchen Sehenswürdigkeiten zu machen.«
Direkt hinter der Eingangstür des Hotels stießen sie auf einen riesigen Eisbären – er stand auf den Hinterbeinen, mit weit aufgerissenen Augen, angriffsbereit. Matthias trat zu ihm und stellte sich in Positur. »Machen Sie doch mal ein Foto. Bitte!«
Dóra schnitt eine Grimasse und ging zur Rezeption. Hinter dem Computer saß eine ältere Frau in einem dunklen Kostüm und einer weißen Bluse. Sie lächelte Dóra entgegen. Dóra sagte ihr, sie habe zwei Zimmer reserviert, und nannte ihre Namen. Die Frau tippte etwas in den Computer, holte zwei Schlüssel und erklärte ihnen, wo die Zimmer waren. Dóra wollte gerade ihren Koffer nehmen und losgehen, als sie auf die Idee kam, die Frau zu fragen, ob sie sich an Harald erinnern konnte. Vielleicht hatte er nach einem Weg oder nach Informationen gefragt, die Matthias und sie auf die richtige Spur führen würden. »Ein Bekannter von uns ist im Herbst hier abgestiegen, er heißt Harald Guntlieb. Du erinnerst dich nicht zufällig an ihn?«
Die Frau schaute Dóra geduldig an, so als sei sie selbst die dümmsten Fragen gewöhnt. »Nein, an diesen Namen kann ich mich leider nicht erinnern«, antwortete sie höflich.
»Könntest du mal nachschlagen? Er war Deutscher, mit allen möglichen Piercings im Gesicht.« Dóra versuchte zu lächeln und so zu tun, als sei die Sache ganz alltäglich.
»Ich kann’s versuchen. Wie buchstabiert man den Namen?«, fragte die Frau und drehte sich wieder zum Bildschirm.
Dóra buchstabierte und wartete dann, während die Frau Informationen über Haralds Reservierung abrief. Auf dem Bildschirm öffnete sich ein Fenster nach dem anderem. »Hier ist es«, sagte die Frau endlich. »Harald Guntlieb, zwei Zimmer für zwei Nächte. Der andere Gast war Harry Potter. Kommt das hin?« Die Frau ließ sich von dem zweiten Namen nicht im Geringsten irritieren.
Dóra bejahte. »Kannst du dich an die beiden erinnern?«, fragte sie erwartungsvoll.
Die Frau betrachtete den Monitor und schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Ich habe zu der Zeit gar nicht gearbeitet. Ich war im Ausland. Wenn man in dieser Branche arbeitet, ist es schwierig, im Sommer Urlaub zu nehmen«, sagte sie entschuldigend, so als habe Dóra sie der Faulheit bezichtigt. Die Frau blickte wieder auf den Bildschirm. »Vielleicht erinnert sich der Barmann an ihn. Ólafur, wird Óli genannt, der war auf jeden Fall hier. Er arbeitet heute Abend.«
Dóra bedankte sich bei der Frau und sie gingen zu ihren Zimmern. Als sie fast um die Ecke des Flurs verschwunden waren, rief die Frau ihnen hinterher: »Ich kann hier sehen, dass er sich an der Rezeption eine Taschenlampe geliehen hat.«
Dóra drehte sich um. »Eine Taschenlampe?«, fragte sie. »Steht da auch, wozu?«
»Nein«, antwortete die Frau. »Es ist nur ein Vermerk, um sicherzugehen, dass er sie beim Auschecken zurückgibt.«
»Kannst du sehen, ob das nachts war?«, fragte Dóra. Vielleicht hatte Harald auf dem Vorplatz etwas verloren und wollte danach suchen.
»Nein, er hat die Taschenlampe bei einem Kollegen von der Tagesschicht geliehen«, antwortete die Frau. »Nur aus reiner Neugier – ist das nicht der Name des ausländischen Studenten, der in der Universität ermordet wurde?«
Dóra bejahte und bedankte sich bei der Frau für ihre Hilfe. Dann gingen Matthias und sie zu ihren direkt nebeneinanderliegenden Zimmern.
»Sollen wir uns eine halbe Stunde ausruhen?«, fragte Dóra, als sie ihr gut ausgestattetes Zimmer sah. Das große Bett war verführerisch und weckte in ihr sofort den Wunsch, sich einen Moment hinzulegen – die Bettdecke war groß und weich und das Laken frisch gebügelt. So etwas wurde einem schließlich nicht jeden Tag
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