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Das Letzte Ritual

Das Letzte Ritual

Titel: Das Letzte Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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glaubst, du bist davon überzeugt?«
    »Hör zu, ich hab nur angerufen, um dich zu informieren – deine Spitzfindigkeiten kannst du dir sparen«, entgegnete Gunnar, obwohl er am liebsten aufgelegt hätte.
    »Schon gut, entschuldige. Wir haben hier sehr viel zu tun wegen der Ausstellung. Ich bin ein bisschen gestresst. Nimm das nicht so ernst«, sagte Maria mit wesentlich freundlicherer Stimme. Dann fügte sie im selben Ton wie vorher hinzu: »Aber ich stehe zu meinem Wort, Gunnar. Du hast nur noch ein paar Tage Zeit, um den Brief zu finden. Ich kann nicht wegen deines Studenten irgendetwas geheim halten.«
    Gunnar überlegte, wie viele Tage »ein paar« waren. Kaum mehr als fünf, wahrscheinlich eher drei. Aus Angst, sie könne die Frist verkürzen, wollte er sie nicht zu einer konkreteren Angabe drängen. »Das ist mir klar – ich melde mich, sobald es etwas Neues gibt.«
    Sie verabschiedeten sich wortkarg. Gunnar stützte sich auf die Ellbogen und vergrub sein Gesicht in den Händen. Er musste den Brief finden. Sonst wäre er vermutlich seinen Job los. Es war undenkbar, einen Institutsleiter des Diebstahls von Unterlagen einer ausländischen Bibliothek zu bezichtigen. Er spürte, wie Hass in ihm hochkochte. Dieser verfluchte Harald Guntlieb. Bevor er auf der Bildfläche erschienen war, hatte Gunnar sogar mit dem Gedanken gespielt, sich für die Position des Rektors zu bewerben. Jetzt sehnte er sich nur danach, dass sein Leben wieder in geregelten Bahnen verlief. Mehr nicht. Es klopfte an der Tür.
    Gunnar erhob sich und rief: »Herein.«
    »Guten Tag, darf ich dich kurz stören?« Es war Tryggvi, der Hausmeister. Er kam ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ruhig trat er an Gunnars Schreibtisch, lehnte aber den angebotenen Stuhl ab. Er streckte seinen Arm aus und öffnete die Hand.
    »Eine der Putzfrauen hat das im Studentenzimmer gefunden.«
    Gunnar griff nach dem kleinen Metallstern. Er betrachtete ihn von allen Seiten und schaute Tryggvi dann fragend an. »Was ist das? Das kann nicht viel wert sein.«
    Der Hausmeister räusperte sich. »Ich glaube, der Stern stammt von den Schuhen dieses toten Studenten. Die Putzfrau hat ihn vor ein paar Tagen gefunden, mir aber erst jetzt davon erzählt.« Gunnar schaute ihn verständnislos an. »Na und? Ich verstehe nicht ganz.«
    »Da war noch was. An einem Fenster hat sie getrocknetes Blut entdeckt.« Tryggvi schaute Gunnar in die Augen und wartete auf eine Reaktion.
    »Blut? Aber er ist doch erwürgt worden«, entgegnete Gunnar erstaunt. »Das ist vielleicht irgendein älteres Blut.«
    Tryggvi zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Ich wollte dir das Sternchen nur geben – du kannst selbst entscheiden, was du damit machst.« Er wollte sich gerade umdrehen und gehen, hielt dann aber inne. »Er wurde natürlich mehr als nur erwürgt.«
    Gunnar spürte, wie sich ihm beim Gedanken an die schreckliche Entstellung der Leiche der Magen umdrehte. »Ach ja, stimmt.« Ratlos starrte er das Sternchen an. Als Tryggvi wieder das Wort ergriff, schaute Gunnar auf.
    »Ich bin sicher, dass der Stern von den Schuhen stammt, die Harald anhatte, als er ermordet wurde. Aber ich hab natürlich keine Ahnung, ob er schon vorher abgefallen ist.«
    »Tja«, murmelte Gunnar. Er biss die Zähne zusammen, schaute Tryggvi entschlossen an, stand auf und sagte: »Danke, selbst wenn die Sache vielleicht keine Rolle spielt, war es richtig, mich darüber zu informieren.«
    Der Hausmeister nickte bedächtig. »Da ist noch was«, sagte er dann und holte ein zusammengefaltetes Handtuch aus seiner Tasche. »Die Frau, die damals das Studentenzimmer geputzt hat, hat Blutspuren auf dem Fußboden entdeckt. Jemand hatte versucht, sie wegzuwischen. Und sie hat das hier gefunden.« Er reichte Gunnar das Handtuch. »Ich glaube, wir sollten die Polizei informieren.« Daraufhin bedankte er sich und ging hinaus. Gunnar setzte sich wieder, glotzte das Sternchen an und überlegte, was er tun sollte. War die Sache wichtig? Würde ein Anruf bei der Polizei alles wieder aufwühlen und den Fall erneut lostreten? Das durfte nicht passieren. Das durfte einfach nicht passieren, jetzt, wo sich die Wogen gerade wieder geglättet hatten. Aber da war natürlich noch dieser verdammte Brief. Gunnar stöhnte und legte den Stern beiseite. Er würde bis Montag warten. Er schlug das Handtuch auseinander. Es dauerte einen Moment, bis Gunnar begriff, was dieser unauffällige Gegenstand mit der Sache zu tun hatte. Als es ihm klar

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