Das letzte Zeichen (German Edition)
Hand schließt sich um die ihre, zieht sie weiter, beruhigt sie. Aus Versehen bleibt sie an einem Stein hängen und fällt hin. Sie knallt mit dem Gesicht auf den Boden. Sie hebt den Kopf und fährt sich über die Stirn. An ihrem Handrücken ist Blut. Ihre Lippen beben, aber noch bevor die Tränen kommen, wird sie hochgehoben. Ihre Arme legen sich um einen vertrauten Nacken und es geht weiter.
Sein rhythmisch schwingender Gang beruhigt sie. Sie fühlt sich geborgen. Sein Körper ist warm. Sie schmiegt sich an ihn. Sie kann ihn riechen – Schweiß, Hunger, Entschlossenheit. Liebe. »Wir sind bald da«, murmelt er ihr ins Ohr. »Wir sind bald da, mein Liebling.«
»Warte nur«, hört sie ihn noch sagen, bevor sie einnickt. »Wir gehen in das Land der Fülle. Und des Friedens. Wir werden sehr glücklich sein, Evangeline. Du wirst schon sehen …«
Eine Erscheinung. Licht. Männer kommen auf sie zu. Sie sind in Sicherheit. Sie haben es geschafft. Ihre Eltern lächeln. Ihre Augen leuchten auf. Sie drücken ihre Hand. »Wir sind da, Evie. Wir sind endlich da. Wir haben dir doch gesagt, dass wir es finden würden …«
Dann kommt einer der Männer auf sie zu und versucht, sie mitzunehmen. Ihr Vater versucht, sie festzuhalten. »Was tut ihr da? Sie ist unsere Tochter. Sie gehört zu uns. Wir gehören zusammen. Wir sind …«
Der Mann achtet nicht darauf, er sieht ihre Eltern gar nicht, hört nicht die Schreie ihrer Mutter. Er nimmt Evie und marschiert mit ihr davon. Sie kann immer noch die panischen Fragen ihrer Eltern hören, wo man sie hinbringt, wann sie sie wiedersehen werden. Sie rufen ihren Namen; rufen, dass sie bald wieder zusammen sind.
Der Mann lächelt sie an. »Vergiss sie«, sagt er. »Es lohnt sich nicht, sich noch Gedanken über sie zu machen. Komm mit …«
Sie ist in einem Zimmer. Es ist kalt und es ist dunkel. Sie spürt fremde Arme um sich. Ihre Kehle ist ganz heiser vom Schreien und jetzt schweigt sie. Sie spürt, wie ihr Kopf nach vorn sinkt, spürt, wie ihr die Augen zufallen. Sie will schlafen. Doch sie zwingt sich, die Augen wieder zu öffnen. Sie darf jetzt nicht schlafen, sie weiß es. Der Mann hat es ihr gesagt; der Mann, der lächelt, aber mit einem gefährlichen Ausdruck in den Augen. Er hat ihr gesagt, dass ihre Eltern nicht existieren; dass die Leute, mit denen sie so lange unterwegs war, die Leute, deren Hoffnung und deren Schilderungen von ihrer Rettung ihr Stärke gegeben haben, wenn sie sich schwach fühlte, die ihr die Kraft gegeben haben, weiterzugehen, wenn sie sich nur noch hinlegen und sich zusammenrollen wollte, nicht mehr hier sind. Er sagt, sie sind gegangen. Sie haben sie verlassen, so wie sie es von Anfang an vorgehabt hätten.
Die Menschen starren sie an. Sie sieht auf ihre Füße; das hat sie sich angewöhnt. Nur Blickkontakt aufnehmen, wenn man weiß, was vor sich geht, wenn man sich sicher fühlt. Sie hat schon viel Gewalt mitansehen müssen in ihrem Leben; vor ihren Augen sind Menschen getötet worden, sie hat Wilde gesehen, die das Fleisch von Toten gegessen haben. Ihre Eltern haben ihr gesagt, dass die Welt ein sehr schöner Ort sein kann, aber sie ist sehr verständig für ihr Alter. Sie weiß, dass das nicht stimmt.
»Delphine, Ralph. Wollt ihr sie richtig kennenlernen?« Ein Paar kommt auf sie zu.
»Evangeline?« Der Mann spricht als Erster. Er geht vor ihr in die Hocke. »Evangeline, ich bin so froh, dass du hier bist. Ich bin dein Vater. Und das hier ist deine Mutter. Wir haben auf dich gewartet.«
Evie ist erschrocken. Sie war auf vieles gefasst, aber nicht auf das. Sie bricht ihre Regel und sieht auf. Sieht ihnen in die Augen.
»Mein Vater«, sagt sie. »Mein Vater ist …« Sie weiß nicht, wie sie den Satz beenden soll, sie weiß nicht, wo ihr Vater ist.
»Ich bin dein Vater, Evangeline«, sagt der Mann sanft, aber bestimmt. »Der Mann, mit dem du gekommen bist, um den kümmert man sich. Er braucht unsere Hilfe, und du willst doch, dass wir ihm helfen, oder? Du willst, dass wir allen Menschen helfen, die mit dir gekommen sind.«
Sie nickt. Der Mann bietet ihr etwas zu essen und Wasser zu trinken an; hungrig greift sie zu.
»Ist sie krank? Fehlt ihr etwas?« Dieses Mal spricht die Frau; ihre Augen betrachten sie forschend und machen Evie verlegen.
»Sie ist nicht krank, Delphine. Sie ist drei Jahre alt. Ist sie nicht die Tochter, die ihr euch immer gewünscht habt?« Der erste Mann starrt Evie an. »Du bist doch die Tochter, die diese Dame sich
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