Das letzte Zeichen (German Edition)
immer gewünscht hat, nicht? Du wirst ihr und der Stadt doch bestimmt eine gute, brave Tochter sein? Willst du das?«
Evie nickt.
»Ich werde eine gute Tochter sein«, sagt sie mit leiser, belegter Stimme.
»Das wirst du, wenn du erst die Neutaufe erhalten hast«, erwidert die Frau.
»Gleich morgen wird sie sie erhalten«, beruhigt sie der erste Mann. »Zusammen mit den anderen.«
»Sie ist perfekt«, sagt der Mann, der sich ihr Vater nennt. »Komm, Delphine. Die anderen warten schon. Nehmen wir sie mit. Nehmen wir sie mit nach Hause.«
Die Frau sieht noch einmal an ihr hinunter. »In Ordnung.« Sie nickt. »Wird schon werden.«
Sie streckt Evie die Hand hin und die ergreift sie.
»Du heißt Evangeline?«, fragt ihr neuer Vater sie. Evie nickt. »Ich glaube, wir nennen sie Evie.«
»Meine Eltern nennen mich auch Evie«, flüstert sie.
Sofort bleibt die Frau stehen, packt sie an den Schultern und zischt: »Wir sind deine Eltern. Du hast keine anderen Eltern, verstanden? Nur böse Kinder reden von anderen Eltern. Nur niederträchtige, schreckliche Kinder, die man bestraft für ihre Niedertracht. Wir sind deine Eltern. Vergiss die Leute, mit denen du gekommen bist, genau wie sie dich vergessen haben. Hast du verstanden? Hast du verstanden?«
Evie nickt. Sie hat verstanden. Als sie aufwacht, versteht sie mit einem Mal alles.
Sie marschierten schweigend, Linus mit Martha voraus, dann Raffy und Evie und drei andere Männer. Die Versehrten wurden von Angel und fünf Leuten mit einem Transporter hingebracht und sollten knapp außer Sichtweite der Stadt mit Linus und den anderen zusammentreffen.
Der Plan war denkbar einfach: die Versehrten durch das Osttor in die Stadt einschleusen; dann brauchte man nur auf den allgemeinen Tumult zu warten und sich inzwischen heimlich zum Westtor schleichen, wo Lucas schon bereitstand. Von dort ginge es direkt zum Regierungsgebäude, wo Linus und Raffy sich daranmachen wollten, das System wieder so einzurichten, wie es immer gedacht war. Inzwischen sollten Evie und Martha Rangänderungsbescheide versenden, die alle zu As machten und die erklärten, dass die Einteilung völliger Unsinn sei und dass es vorbei war, dass eine neue Zeit anbrechen würde. Lucas und Angel sollten den Bruder gefangen nehmen und ihn zwingen, die Bescheide zu versenden; und sie sollten sicherstellen, dass seine Herrschaft endete, sobald alle die Wahrheit erfahren hatten.
Und dann …
Dann konnten Evie und Raffy selbst entscheiden, was sie tun wollten, hatte Linus versprochen. Sie, Raffy und Lucas, hatte er sich verbessert, was Evie wieder die Röte in die Wangen trieb. Sie könnten in der Stadt bleiben, sagte er. Sie könnten zum Base Camp zurückkehren. Oder sie konnten sich einer der anderen Gemeinschaften anschließen, einer der anderen Städte, von denen er ihnen erzählt hatte. Evie hatte ihn gefragt, ob er denn zum Base Camp zurückkehren werde, aber er hatte nicht geantwortet; er hatte nur gelächelt, und sein Gesicht hatte dabei noch faltiger ausgesehen als sonst, und seine blauen Augen hatten geblitzt, als hätte sie einen Witz gemacht, nur dass Evie den Witz nicht verstand und nicht wusste, was daran so lustig sein sollte.
»Glauben Sie, dass man das Böse überhaupt endgültig aus der Welt schaffen kann?«, hatte sie ihn gefragt. »Ich meine, wenn das mit der Neutaufe tatsächlich funktioniert hätte?«
Linus sah sie an, lächelte zwar noch, doch seine Augen wurden traurig. »Ich bin mir nicht sicher, ob es das Böse überhaupt gibt«, meinte er gedankenvoll. »Ich glaube, die Menschen sind zu schrecklichen Dingen fähig, wenn man sie dazu zwingt, sie übergeht oder sie wütend macht, wenn sie hoffnungslos, hilflos oder verzweifelt genug sind.«
Dann hatte er ihr direkt in die Augen gesehen. »Aber du, Evie, du bist ganz bestimmt nicht böse. Verstehst du? Egal was man dir gesagt hat: Du. Bist. Nicht. Böse. Und Raffy auch nicht. Das darfst du nicht vergessen. Daran musst du festhalten. Versprichst du mir das?«
Evie hatte genickt und sie hatte ihm glauben wollen, aber ganz sicher war sie sich nicht gewesen. Denn sie spürte noch immer diese Wut in sich, und sie hatte schreckliche Gedanken, die sie nicht unterdrücken konnte – die sie nicht unterdrücken wollte. Aber davon erzählte sie Linus nichts. Sie brachte nur ein leichtes Lächeln zustande, dann ging sie zu Raffy hinüber, weil es Zeit war …
Lucas starrte auf den Monitor mit der Nachricht von Linus, holte tief Atem und
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