Das Lexikon der daemlichsten Erfindungen
und Beinen und schreit. Aber das hilft ihm nichts. Klatsch klappt Mami den Deckel zu. Das ohnehin gestresste Kleine entwickelt Panik, leidet unter Klaustrophobie. Es will nur eines: raus. Das geht aber nicht, denn Mami hat das leichenwagenartige Gefährt bereits auf die Straße geschoben, mitten hinein in die Kampfgaswolke. Irgendeine Kommunikation mit dem Baby ist nicht mehr möglich. Es jammert, strampelt und schreit sich die Seele aus dem Leib, und es fühlt sich lebendigbegraben. Es macht sich vor Angst in die Hose, und in der engen Kiste beginnt es erbärmlich zu stinken. Eine Lüftung hat sie schließlich nicht, nur eine Art kleinen Kamin am Fußende, in dem ein Gasfilter eingebaut ist. Durch das winzige Glasfensterchen sieht das Kind direkt nach oben und erspäht allenfalls gelegentlich einen Kampfflieger am Himmel. Beugt sich tatsächlich Mami einmal über die Scheibe, bekommt das Baby den nächsten Schrecken. Ein Monster mit einer Gasmaske starrt es an. Welch grandiose Erfindung, dieser Kampfgas-Kinderwagen, der den Ausflug an der »frischen Luft« mit einem kleinen Horrorspaziergang verbindet!
Atombomben
1944, wenige Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde der deutsche Chemiker Otto Hahn mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet, den er dann nach Kriegsende im Jahre 1946 in Empfang nehmen durfte. Die hohe Auszeichnung galt der Entdeckung der Kernspaltung. Diese hatte reichlich unspektakulär am 17. Dezember 1938 Fritz Straßmann, ein Assistent Hahns, im Labor ausgelöst, aber weder Hahn als Chemiker noch der Ingenieur Straßmann konnten wirklich verstehen, was sie da beobachteten. Hahn berichtete seiner langjährigen Mitarbeiterin, der Physikerin Lise Meitner, über das Experiment und schrieb ihr, da sei wohl ein Urankern in mittelschwere Atomkerne »zerplatzt«. Lise Meitner arbeitete zu dieser Zeit nicht mehr mit Hahn zusammen. Unter dem Druck der Judenverfolgung im Dritten Reich hatte sie, selbst Jüdin, die deutsche Staatsbürgerschaft verloren und war bereits im Juli illegal nach Schweden geflohen. Als Otto Hahns Schreiben bei ihr einging, hatte sie gerade Besuch von ihrem Neffen Otto Frisch, der in Dänemark mit Niels Bohr zusammenarbeitete. Meitner und Frisch begriffen sofort, was Hahn und Straßmann da Bedeutendes entdeckt hatten, und waren sich als Nuklearphysiker auch der gigantischen Energiemengen bewusst, die man durch Kernspaltung freisetzen konnte.
Hören Politiker und vor allem Militärs von potenziellen gigantischen Energiequellen, denken sie oft reflexartig an Kaputtmachen, an Krieg, an Bomben. Einer der Ersten, die in diese Richtung dachten, war der Führer des Deutschen Reichs, dem eine neue »Superwaffe« zu dieser Zeit gut ins Konzept gepasst hätte. Doch es kam anders. Albert Einstein, bereits 1933 nach Hitlers Machtergreifung in die USA emigriert, roch den Braten und bekniete schon im August 1939 zusammen mit seinem Physikerkollegen Leó Szilárd den US -Präsidenten Franklin D. Roosevelt in einem Brief, so schnell wie möglich und unbedingt vor Deutschland eine Atombombe zu entwickeln.
Atombombentest in der Wüste von Nevada: So lasst uns denn unsere eigenen Soldaten verstrahlen!
Als Hahn von den Bombenbastelplänen diesseits und jenseits des großen Teichs erfuhr, packte ihn ebenso nacktes Entsetzen wie damals Alfred Nobel, als dieser erkannte, was Militärs mit dem von ihm erfundenen Dynamit alles in die Luft jagten. Er hatte daraufhin den Nobelpreis für friedliche Nutzung der Wissenschaften ins Leben gerufen, denn er wollte das Geld, das er mit seinem Dynamit in Mengen verdiente, pazifistisch verwenden. Es erscheint wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass dann justament zwei Nobelpreisträger, Hahn und Einstein – beide erklärte Pazifisten! –, an der Wiege der Atombombe stehen sollten.
Roosevelt nahm Einsteins Petition ernst und ließ die fatale Bombe bauen. Wie töricht das war, sollte sich indes erst viel später zeigen. Zunächst glaubten selbst Physiker reichlich naiv, Kernexplosionen seien in ihrer Wirkung kaum etwas anderes als TNT -Explosionen (wie sie gerne von Selbstmordattentätern verwendet werden), nur in der Dimension verheerender. Dass sie nicht nur auf Knopfdruck Hunderttausende Menschen töten, sondern darüber hinaus das bombardierte Areal auch noch radioaktiv total verseuchen, blieb zunächst unerkannt – ebenso wie die Tatsache, dass noch Jahre und Jahrzehnte später die betroffenen Menschen wegen der Strahlenbelastung an Krebs
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