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Das Licht, das toetet

Titel: Das Licht, das toetet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek Meister
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so gern. Ich dachte, wir fragen Kishii, ob er auch ein paar gefüllte Hefeklöße möchte.“
    „Sicher.“
    „Was hast du denn, Kind?“
    Statt einer Antwort strich Chiyo ihrer Oma liebevoll über das weiße Haar. Sie spürte auf beiden Seiten von Sobos Schläfe die winzigen Narben. Beim großen Kant ō -Erdbeben war ihre Großmutter als Baby zwischen zwei Betonteile gefallen. Chiyo mochte es, die feinen Linien der Narben zu streicheln. Und Sobo trug sie mit einer Art von Stolz. Die greise Frau hatte sich ihr weißes Haar zu Zöpfen geflochten und Chiyo fand, dass sie trotz der tiefen Falten, der Runzeln und der Erdbebennarben ziemlich frech aussah.
    „Nichts, Sobo“, log Chiyo, küsste ihre Großmutter aufs Haar und zwickte sie dann blitzschnell durch den Kittel in den Bauch.
    „Na, warte!“ Die kleine Frau schrie lachend auf. Doch bevor sie reagieren konnte, hatte Chiyo sich bereits den Kochlöffel geschnappt und einen Kloß aus dem Topf gefischt.
    „Mir geht’s gut“, grinste Chiyo und steckte sich …
    „Pass auf! Ist heiß!“
    … gleich den ganzen Kloß in den Mund. „Verflucht! Heiß, heiß, heiß!“ Sie fächelte sich Luft zu und hüpfte durch die Küche, während ihre Großmutter laut lachte.
    Chiyo holte drei schlichte weiße Schalen aus dem Schrank und deckte den niedrigen Tisch aus Bambusholz.
    Um weiterem Ärger für heute auszuweichen, beschloss Chiyo, den Nachbarn einmal nicht zu provozieren.
    Sie würde still und höflich sein.
    Schon Sobo zuliebe.

21
    Da sie ihn nur örtlich betäubten, kam Daniel in den zweifelhaften Genuss, Dozer und Greenlight beim Verkleben und Tackern der Wunde beobachten zu können. Erst entfernten sie das abgestorbene Fleisch um den Schnitt, dann gossen sie Fibrinkleber in die Wunde, der die Haut zusammenhalten sollte.
    „Was ist mit dem guten alten Bindfaden?“, fragte Daniel, aber die beiden Männer lachten nur. Laut Dozer war das Tackern bei einfachen Schnitten besser, weil es weniger Narben hinterließ.
    Es dauerte den halben Tag, bis Dr. Daniel Cornelis Rheinberg den ersten Schritt wagte. Die Haut spannte und er hatte Angst, die Wunde könne sich erneut öffnen. Doch er hatte das Liegen einfach nicht mehr ausgehalten.
    Auf eine Krücke gestützt, humpelte er den Flur entlang zu seinem Labor. Dieser Abschnitt der Basis wirkte wie ein normales Bürogebäude. Lediglich die Decke, an der sich Kabel über Metallgitter zogen, und die Forscher in ihren dicken Schneeanzügen zeugten davon, dass Daniel nicht in Seattle oder Berlin in einer Versicherung arbeitete, sondern am südlichsten Punkt der Welt.
    Langsam fand Daniel den richtigen Schritt-Rhythmus und humpelte an Frosty Boy, der Softeismaschine, vorbei. Professor Dr. Greenlight und Dr. Ibaha hatten den Blechbauch der Maschine geöffnet. Die beiden Experten für Tiefkernbohrungen fuhrwerkten mit Schraubenschlüssel und Akkuschrauber in der alten Kiste herum. Frosty Boy litt seit Monaten an Verstopfung, was auf der Basis für erheblichen Missmut sorgte.
    Die beiden Männer grüßten und boten ihm Hilfe an, aber Daniel schüttelte den Kopf. So schnell es sein Bein zuließ, hinkte er den Gang entlang zu seinem Büro, das am Ende des Flurs lag.
    AMANDA stand mit Edding auf seiner Tür und irgendein Scherzkeks hatte einen gelben Notizzettel mit einem dicken Lippenstiftkuss daneben geklebt. Als sei AMANDA Daniels Geliebte und das kleine Zimmer, das er sich mit zwei Assistenten, vier Laptops und fünf Desktop-PCs mit Flachbildschirmen teilte, ein verwunschenes Liebesnest.
    Ein Liebesnest voll unerledigter Arbeit, dachte er und musste lächeln. AMANDA war tatsächlich so etwas wie seine Geliebte. Selbst in der Nacht hockte er noch vor den Computern und lauschte auf das Knacken der Neutrinos.
    Daniel öffnete die Tür. Laute EBM-Musik schlug ihm entgegen. Beinahe wäre er über ein Bündel Netzwerkkabel gestolpert, die sie letzte Woche provisorisch auf dem Boden mit Klebeband fixiert hatten.
    „Lacruz“, schrie er gegen die Elektro-Beats an. „Lacruz!“
    Ein junger, pausbackiger Mann mit Ohrringen und schwarzblauem Iro rollte mit seinem Bürostuhl hinter einer Regalwand hervor. Er war aus Venezuela und erzählte jedem, er sei in der wunderschönen Hafenstadt La Cruz gezeugt worden. „Schon wieder auf ’m Damm?“, erkundigte sich sein Kollege und riss einen Müsliriegel auf.
    „Ja, ja. Verfluchte Schneemobile … Was habt ihr herausgefunden?“
    „Wie … Was ist los?“ Endlich drehte Daniels Assistent seine

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