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Das Licht, das toetet

Titel: Das Licht, das toetet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek Meister
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die Maschine vor der hohen Gartenmauer der Richmond-Villa ab.
     
    Das Haus lag zurückgesetzt. Spitzdächer und drei Schornsteine aus Backstein, die von eisernen Ringen gehalten wurden, ragten neben einem angebauten Rundturm in den bleigrauen Himmel. Während das Haus mit seinen Vordächern, den vielen Säulen und Holzstreben viktorianisch anmutete, erinnerte der Turm mit seinen Feldsteinen an eine mittelalterliche Burg. Sein nasses Ziegeldach glitzerte im Regen. Wie schwarze Augen blickten Ian die halbrunden, gardinenlosen Fenster der Villa an. Die Dachziegel waren mit Moos überzogen und der Putz bröckelte an vielen Stellen.
    Ein lautes Ächzen ließ Ian abermals zum Turm blicken. Er entdeckte eine verrostete Sonne aus Eisen, die sich auf der Turmspitze im Wind drehte. Mit einem Quietschen schwenkte sie in seine Richtung und Ian erschrak. War es überhaupt eine Sonne?
    Der Rost hatte Löcher ins Metall gefressen und ein paar ihrer Strahlen waren wahrscheinlich schon vor Jahren abgefallen. Nun sah die Sonne wie ein grinsender Totenkopf aus, dem ein paar wirre Haare zu Berge standen. Ein vermodernder Schädel, aufgespießt auf einer Lanze, offen zur Schau gestellt.
    Schwere, tiefgraue Regenwolken schoben sich hinter den Turm. Bald würde es ein Gewitter geben. Eine Böe schwenkte die Wetterfahne wieder zurück und der Totenkopf verschwand. Nur das ungute Gefühl blieb wie ein schlechter Geschmack im Mund zurück.
    „Hallo?“, rief Ian, weil er glaubte, ein Geräusch gehört zu haben.
    „Hier ist niemand.“ Bpm zog sich die Stöpsel aus den Ohren. „Sieht ganz schön ungemütlich aus. Hast du die Veranda gesehen?“ Er zeigte zum Eingang. Die Haustür wurde von mehreren dünnen Säulen flankiert, die das Vordach trugen. Rechts und links umlief eine Veranda das Haus, die nicht besser als der Rest des Hauses aussah: Ihre Holzbretter waren grün angelaufen und teilweise eingebrochen. Ein Absperrband flatterte zwischen den Säulen im Wind.
    „Wohnt hier überhaupt wer?“ Bpm wischte seine nassen Hände an einer der Säulen ab, wodurch sie nur noch dreckiger wurden. „Also, wenn ja, dann würde ich mal sagen: Putzfrau feuern.“
    Wolken verdunkelten den Himmel und warfen Schatten auf die Villa und den Garten. Der Wind frischte auf und die Temperatur sank fühlbar.
    Ian konnte sich an nichts mehr erinnern. Weder an die Veranda oder die Auffahrt noch an die Mauer mit den Dornen, über die sie geklettert waren. Es war ihm alles fremd. Hatte er einmal in diesem Garten gespielt? War er auf die Bäume gehoben worden? Oder hatte er in dem runden Turm getobt? Er wusste es nicht.
    Eine plötzliche Böe ließ die Äste eines Strauchs gegen einen Fensterrahmen schlagen.
    „Das schüttet gleich richtig. Willst du da wirklich rein?“ Bpm zog sich die Kapuze seines gelben Capes weiter ins Gesicht. „Ich frier mir den Du-Weißt-Schon-Wen ab. Wir sollten uns lieber irgendwo aufwärmen.“
    Ian ging nicht auf Bpms Einwand ein, sondern trat die Stufen zur Tür hinauf. Etwas streifte ihn an der Wange und er zuckte zurück. Ein Windspiel mit Tonglöckchen und Federn tanzte aufgeregt über der Eingangstür. Die Fäden hatten sich hoffnungslos verheddert.
    Er presste seine Stirn an die Scheibe der Tür, konnte aber nichts erkennen. Als er sich stärker gegen die Haustür lehnte, schwang sie mit einem Mal auf.
    „Spooky“, entfuhr es Bpm, der seine Pilotenbrille an seiner Hose abwischte. „Na, dann mal hineinspaziert.“
    Im Innern des Hauses war es noch kälter als draußen. Leise schloss Ian die Tür hinter ihnen. Er lauschte, hörte aber nur den Regen gegen die Fensterscheiben prasseln. Sein Blick schweifte durch das Erdgeschoss, das mit schwarzem Marmor ausgelegt war. Eine geschwungene Holztreppe mit verziertem Geländer und ausgetretenen Stufen führte in den ersten Stock.
    „Soll ich mal Licht –?“
    „Sssssht.“ Ian legte den Zeigefinger auf den Mund. „Hörst du das?“
    Es klang wie das Rattern eines Rasenmähers.
    „Das ist draußen. Nicht hier drinnen. Irgendein Bekloppter mäht im Regen den Rasen.“
    „Hm. Mach mal lieber nur deine Taschenlampe an.“
    Vorsichtig leuchtete Bpm in den Raum – und blickte in das Gesicht eines Toten. Eine Gesichtshälfte war aufgeschnitten. Muskelstränge und rohes Fleisch traten hervor.
    Bpm stieß einen gellenden Schrei aus.
    Dann wurde es still im Haus. Totenstill.
    123 Meter, meldete sein Victory-Zielfernrohr. Über hundert Meter durch den Regen bis zur Villa. Seufzend

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