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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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dann auf die Bescherung am Boden. »Pa muß bloß noch die Schweine füttern. Dann kommt er gleich«, sagte sie.
    Â»Pa wird dir den Arsch versohlen, Beth«, sagte Lou.
    Â»Er wird dir deinen versohlen, weil du
Arsch
gesagt hast«, antwortete Beth, noch immer schniefend.
    Â»Jetzt hast du’s auch gesagt. Also kriegst du doppelt Dresche.«
    Beth verzog das Gesicht und begann erneut zu heulen.
    Â»Schluß jetzt! Alle beide!« rief ich, weil mir die Vorstellung, daß Pa seinen Gürtel nehmen und ich das Klatschen auf ihren Beinen hören müßte, angst machte. »Niemand kriegt Dresche. Geht und holt Barney!«
    Beth und Lou liefen zum Ofen und zerrten den armen Barney hervor. Pas alter Jagdhund ist blind und lahm und pinkelt in sein Bett. Onkel Vernon sagt, Pa sollte ihn hinter den Stall führen und erschießen. Pa meint, er würde eher Onkel Vernon erschießen.
    Lou führte Barney zu der Pfütze. Er konnte die Milch zwar nicht sehen, aber riechen, und leckte sie gierig auf. Seit Ewigkeiten hatte er keine Milch mehr bekommen. Wir genausowenig. Die Kühe geben im Winter keine Milch. Aber eine hatte gerade gekalbt. daher gab es zum erstenmal seit Monaten ein bißchen. Bald sollten noch mehr kalben. Ende Mai würde der Stall voller Kälber sein, und Pa würde früh losziehen. um in die Hotels und Sommerhäuser Milch, Sahne und Butter zu liefern. Doch an diesem Morgen war dieser eine Kübel alles, was wir für lange Zeit hätten, und zweifellos erwartete er, davon etwas auf seinen Brei zu kriegen.
    Barney leckte den Großteil der Milch auf. Das Wenige, das er übrigließ, wischte Abby mit einem Lappen auf. Beth war ein wenig naß geworden, und das Linoleum unter ihrem Stuhl wirkte sauberer als überall sonst, aber ich hoffte, Pa würde es nicht bemerken. Im Eimer war noch ein Rest übriggeblieben. Ich fügte ein bißchen Wasser hinzu, goß dann alles in einen Krug und stellte ihn neben seine Schale. Zum Abendessen würde er eine schöne Milchsoße erwarten oder vielleicht einen Pudding, nachdem die Hühner vier Eier gelegt hatten, aber darüber würde ich mir später Gedanken machen.
    Â»Pa wird’s merken«, sagte Lou.
    Â»Wie denn? Wird’s Barney ihm sagen?«
    Â»Wenn Barney Milch säuft, furzt er wie wild.«
    Â»Lou, bloß weil du wie ein Junge rumstolzierst und dich so anziehst, mußt du noch lange nicht reden wie einer. Mama hätte das nicht gefallen«, antwortete ich.
    Â»Mama ist nicht mehr da, also kann ich reden, wie’s mir paßt.«
    Abby, die ihren Lappen an der Spüle auswusch, wirbelte herum und schrie: »Sei still, Lou!« Worauf wir zusammenfuhren, weil Abby sonst nie schreit. Selbst bei Mamas Beerdigung hat sie nicht geweint, obwohl ich sie ein paar Tage später in Pas Schlafzimmer fand. wo sie ein Blechbild unserer Mutter so fest umklammert hielt, daß ihr die Kanten die Hand zerschnitten hatten. Unsere Abby ist wie ein buntgemustertes Kleid, das nach dem Waschen mit der Innenseite nach außen aufgehängt wurde, so daß man keine Farben sieht. Unsere Lou ist das Gegenteil davon.
    Während die beiden sich weiter stritten, hörten wir Schritte aus dem Schuppen, der sich hinten an die Küche anschließt. Das Gezänk hörte sofort auf. Wir dachten, es sei Pa, aber dann klopfte es, und wir wußten, daß es nur Tommy Hubbard, der Nachbarsjunge, sein konnte, der wieder mal Hunger hatte.
    Â»Juckt’s dich, Tom?« rief ich.
    Â»Nein, Matt.«
    Â»Dann komm zum Frühstück rein. Aber wasch dir vorher die Hände.«
    Das letzte Mal, als ich ihn reinließ, brachte er Flöhe mit. Tommy hat sechs Geschwister. Sie wohnen auf der Uncas Road wie wir, aber weiter oben in einem schäbigen Holzhaus. Ihr Land liegt an der Straße, zwischen dem der Loomis und unserem. Sie haben keinen Pa, oder viele Pas, je nachdem, wie man es sieht. Emmie, Tommys Mutter, tut ihr Bestes, indem sie in den Hotels Zimmer putzt und kleine selbstgemalte Bilder an Touristen verkauft, aber das reicht nicht aus. Ihre Kinder sind ständig hungrig, ihr Haus ist kalt, und sie kann ihre Steuern nicht zahlen.
    Tommy kam herein und brachte eine seiner Schwestern mit. Mein Blick schoß zwischen den beiden hin und her. Pa hatte noch nicht gegessen, und im Topf war nicht mehr viel übrig. »Ich hab bloß Jenny dabei«, stieß er schnell hervor. »Ich

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