Das Licht des Nordens
absuchten, noch das Personal des Hotels. wo sich das Paar eingetragen hatte, konnten vorhersehen, daà sie bald in einen der sensationellsten Mordprozesse der New Yorker Geschichte verwickelt werden würden. Denn wie sich bald herausstellte, war Grace unverheiratet und schwanger, und der Mann. der sie mit auf die Bootsfahrt genommen hatte, der Vater ihres Kindes. Sein Name war Chester Gillette.
Grace und Chester hatten sich 1905 in der GilletteHemdenfabrik in Cortland kennengelernt, die Chesters Onkel gehörte und wo sie beide arbeiteten. Eine Romanze entspann sich zwischen den beiden, und Grace wurde schwanger. Kurz nachdem sie ihren Zustand erkannte, verlieà sie Cortland, um nach South Otselic, ihrer Heimatstadt, zurückzukehren â vermutlich auf Chesters Drängen. Von dort schrieb sie besorgte Briefe an Chester, flehte ihn an, sie zu holen. und drohte, andernfalls zurückzukommen.
SchlieÃlich kam er. Sie trafen sich in DeRuyter, einer Stadt in der Nähe von Graceâ Heimatort, und fuhren nach Utica und weiter in die Adirondacks. Sie hatten wenig Geld und keinen bestimmten Plan. Oder besser gesagt, Grace hatte keinen Plan, auÃer der Hoffnung. zu heiraten. Chester hingegen schon, wie der Staatsanwalt behauptete. Da er nur ein armer Verwandter der Gillettes aus Cortland war, allerdings nach ihrem gesellschaftlichen Status strebte, hoffte er, seine Stellung zu verbessern, indem er ein Mädchen aus einer prominenten Familie umwarb. Doch dafür muÃte er die Fabrikarbeiterin loswerden, die er einmal geliebt hatte, aber inzwischen als Hindernis ansah.
Es gab keine Augenzeugen bei Grace Browns Tod. und niemand konnte mit Sicherheit sagen, was am 11. Juli 1906 am Big Moose Lake passiert war. Anfangs gab Chester an, Graceâ Tod sei ein Unfall gewesen. später behauptete er, sie habe Selbstmord begangen. George W. Ward, der Bezirksstaatsanwalt, der mit der Klärung des Falls betraut war, rekonstruierte Chesters Aktivitäten vor und nach Graces Tod, darunter die Benutzung eines falschen Namens beim Eintrag im Glenmore Hotel, die Tatsache, daà er den Unfallort verlieà und Grace nicht als vermiÃt meldete, sowie die Tatsache, daà er sich drei Tage nach ihrem Tod in einem Hotel in Inlet vergnügte â worauf er auf Mord plädierte. Dabei stützte sich Ward nicht zuletzt auf Graceâ Briefe.
In
Das Licht des Nordens
habe ich mir die Freiheit genommen, einer fiktiven Figur â Mattie â Zugang zu der Korrespondenz zwischen Grace und Chester zu geben. In Wirklichkeit jedoch hatte Grace in den Adirondacks nur Chesters Briefe in ihrem Gepäck. Die Briefe, die sie an ihn geschrieben hatte, wurden nach Chesters Festnahme in seinem Zimmer in Cortland gefunden.
Graceâ Briefe machten tiefen Eindruck auf die Beobachter des Prozesses. Leute begannen zu schluchzen, als sie verlesen wurden. Alle weinten, hieà es, auÃer Gillette. Obwohl sich der Prozess nur auf Indizien stützte. erkannten die Geschworenen auf schuldig. Chester wurde wegen vorsätzlichen Mordes verurteilt und am 30. März 1908 im Gefängnis von Auburn hingerichtet.
Fast ein Jahrhundert nach ihrem Tod haben Grace Browns Worte auf mich die gleiche Wirkung wie auf die Menschen damals, die den Prozeà verfolgten â sie brechen mir das Herz. Ich trauerte um Grace Brown â eine Person, die ich nicht kannte, eine längst verstorbene junge Frau â als ich die Briefe zum erstenmal las. Es klingt so viel Angst und Verzweiflung aus diesen Zeilen. aber sie zeigen noch viel mehr â ein gutes Herz, Humor. Intelligenz, Schlagfertigkeit. Grace mag Erdbeeren, Rosen und French Toast. Sie hatte Freunde und einen Bruder, der sie wegen ihrer Kochkünste neckte. Sie machte gern Ausfahrten und lieà Knallfrösche los. Ihre Briefe erinnern mich daran, wie es war, neunzehn zu sein, und oft frage ich mich, was sie aus ihrem Leben gemacht hätte, wenn sie es hätte leben dürfen. Ich bin froh, daà sie Mattie geholfen hat, das ihre zu leben.
Meine GroÃmutter, die in den zwanziger Jahren in einem Hotel in Big Moose arbeitete, behauptet, daà Grace Brown immer noch am See spukt.
Mich werden ihre Briefe für immer verfolgen.
Jennifer Donnelly
Brooklyn, New York
Oktober 2002
Danksagung
Obwohl Mattie Gokey, ihre Familie und Freunde fiktive Figuren sind, hat es einige der Romanfiguren. wie Dwight Sperry und John Denio, tatsächlich gegeben. Andere, wie Henry,
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