Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
sich an den stahlgrauen Rändern der Welt.
Das siegreiche Licht aber spiegelt sich in unzähligen Tröpfchen. Sie hängen in Büschen von den Dornen und sammeln sich schimmernd in den Blüten, bis sie überlaufen und fallen, ein unschuldiges Nachspiel der Flut, die gekommen und wieder vergangen ist.
Sarik trocknet sich die Kleider und macht sich auf den Rückweg. Die Vögel trauen sich wieder aus ihren Verstecken und entrüsten sich über ihr nasses Gefieder. Eine Heuschrecke kriecht zitternd unter ihrem Blatt hervor, und ein paar Mücken heben sich in die dünne Luft. Es riecht nach Lavendel, und die Ahnung eines Regenbogens spannt sich unerreichbar über das Tal.
Er bückt sich nach einem jungen Vogel, der aus seinem Piniennest in eine große Pfütze gefallen ist. Er nimmt ihn auf, setzt ihn auf einen der unteren Zweige und erträgt geduldig sein Geschimpfe.
Ich erwarte keine Dankbarkeit, denkt er, als er fern in seinem Geist eine vertraute Regung verspürt.
Von einem Vogel? , denkt das Irrlicht mit einem Hauch von Eifersucht. Es ist so leise, dass er es kaum verstehen kann.
Wo steckst du?, fragt Sarik, denn gewöhnlich hält es sich in seiner Nähe.
Er bleibt stehen und lässt den Blick über das kleine Dorf im Tal schweifen. Die Menschen haben den Schutz ihrer Häuser verlassen und schauen staunend zum blauen Himmel auf, und ihre Kinder tollen durch die Pfützen. Am glücklichsten sind die Bauern, auch wenn sie es nicht so gut zeigen können wie die Kinder.
Bei ihrem Anblick kommen Sarik Erinnerungen an frühere Erlebnisse. Ein Kind, das sich verlaufen hat: gefunden. Eine alte Frau in den Trümmern ihrer Scheune: gerettet. Er hat Räuber gestellt, das Dorf vor Armeen versteckt und die Bäckerskatze aus dem Schornstein befreit, und nie haben die Menschen auch nur Notiz von ihm genommen.
Doch er tut, was er tut, nicht des Dankes wegen. Er hilft den Menschen gern, doch ihre Wünsche und Sorgen sind ohne Belang für ihn. Er tut es allein der Magie wegen – und keine Form von Magie bereitet ihm solches Vergnügen wie die, die dem Wetter befiehlt: all die Arten, einen Wind zu rufen, all die Täuschungen, die Sonne und Mond auf die Augen der Menschen zaubern, das ewige Spiel von Regen und Schnee.
Etwas stimmt nicht, denkt er und runzelt die Stirn.
War der Regen nicht gut? , fragt das Irrlicht von fern.
Doch, denkt Sarik, der Regen war gut. Aber irgendetwas – wo bist du? Ich kann dich nicht sehen.
Bei dir, antwortet das Irrlicht. Wo ich immer bin. Komm zurück.
Sarik nickt und macht sich auf den Weg. Er hat das Irrlicht immer für ein wenig besitzergreifend gehalten, doch es hat recht.
Er hält sich abseits der Felder, deren Besitzer stolz wie Könige durch die schlammigen Furchen stapfen. Auch Sariks Stiefel sinken knöcheltief ein, aber es kümmert ihn nicht. Seine Kleidung verfügt über besondere Eigenschaften. Es ist ein Stoff, wie die Eolyn ihn verwenden, und Schmutz haftet nie lange an ihm. Leider neigt sein Umhang auch dazu, in den Abendstunden Scharen von Glühwürmchen anzulocken, doch wie er sich zu sagen pflegt: Gute Schneider sind rar.
Er pfeift eine kleine Melodie auf seinem Weg, aber niemand außer einer alten Ziege nimmt von ihm Notiz. Er freut sich über die Kornblumen und die Felder von Fingerhut, die plätschernden Bäche und den Wind in den rauschenden Weiden. Morgen wird Nebel aus den Senken steigen, Tau sich in den Spinnennetzen fangen, und vielleicht wird es die nächsten Tage noch einmal einen kleinen Schauer geben.
Er freut sich darauf, in seinen Wald zurückzukehren. Die eigenartige Verunsicherung, die er nach dem Regen gespürt hat, nagt an ihm. Als wäre all dies ein Schauspiel – nicht wirklich. Sarik schüttelt den Kopf. Alle Zweifel werden vergehen, wenn die Sonne erst über dem Dach des Blauen Waldes verschwindet und er diese Welt ein weiteres Mal hinter sich lässt.
Er wandert den Weg entlang und hält Ausschau nach einer geeigneten Stelle. Schließlich hält er vor zwei jungen Birken, die wie Mädchen nach einem Bad tropfen. Mit geschlossenen Augen tritt er zwischen ihnen hindurch. Wasser schlägt ihm von den Blättern ins Gesicht, und er glaubt, einen angenehmen Schauer zu spüren. Es wird kühler, dann noch etwas, und alle Geräusche treten in den Hintergrund. Schatten fällt auf seine Lider, und er schlägt die Augen auf. Die Welt scheint unter ein Tuch aus Indigo gehüllt, das sie verbirgt wie eine Bühne, die noch nicht bereit für die Aufführung ist. Es ist
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