Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
weshalb er seine Tochter nicht länger beschäftigt. Darüber kommen die beiden Männer sich näher und entdecken ihre gemeinsame Liebe zum Wein. Und als sich zum Erntedankfest beide in wechselseitigen Preisungen der reichen Gaben des Landes überbieten und Bruder Tito guter Dinge ist, verrät er sie.
SARIKS TRAUM
H ätte man Sarik an jenem zeitlosen, zeugenlosen, segensreichen Tag auf seinem Weg den kleinen Berg hinauf begleitet, so wären einem als Erstes die Wolken in seinem Gefolge aufgefallen.
Viel zu lange schon hat die Hitze das Land ausgedorrt, Zikaden haben die Felder unter sich aufgeteilt, und alles Leben liegt betäubt im heißen Staub. Nun aber eilen Wolken von allen Enden des Horizonts herbei wie alte Jungfern, die zu spät zum Fest sind. Fast kann man das missbilligende Knurren derer erahnen, die sie auf ihrem Rennen über den azurblauen Himmel überholen. Weiße Pferde galoppieren neben rauchgrauen Drachen, und stolze Galeonen landen an ihren Flanken an und werfen ihre Schatten auf den Grund des himmlischen Ozeans.
Eine Weile sammeln sich die Streitkräfte über der mit wehenden Fahnen genommenen Welt, und bald ist ihr Gedränge so groß, dass sie zu phantastischen Formen verschmelzen. Nur vereinzelt bricht noch die Mittagssonne durch ihre elfenbeinernen Leiber, Finger aus Licht, die flehentlich über die verdorrten Felder und die in der Hitze knackenden Wälder streichen, ehe die letzten Pforten sich schließen; die letzten Sendboten sich hinter den Schutzwall der Wolken zurückziehen oder für immer erlöschen müssen.
Das Farbenspiel am Himmel wandelt sich von perlmuttfarben zu bleigrau. Grollend schieben sich die finsteren Massive ineinander. So hoch türmen sich die schwebenden Berge, und so tief lasten ihre prallen Bäuche, dass man den Kopf in den Nacken legenmuss, um ihre Dimensionen zu erahnen. Dann machen sie sich auf zur Spitze ihres erdgebundenen Bruders, des Berges aus Fels, und bedecken das Tal mit dunklem Damast.
Wäre man noch weiter gegangen, hätte man schließlich Sarik selbst gesehen, wie er gemächlich die letzten Schritte zurücklegt, ein gutgelaunter Wanderer, der sich auf das bevorstehende Ereignis freut.
Er trägt einen Dreispitz und einen Umhang von einer seltsamen Farbe, die man nur während einiger flüchtiger Minuten des Tages beschreiben könnte: eine Weile vor Sonnenaufgang oder nach ihrem Untergang. Dann würde man nämlich bemerken, dass es die Farbe des der Sonne abgewandten Teils des Himmels ist, in dessen Schwärze sich die Ahnung von Kobalt und das Glitzern der ersten und letzten Sterne der Nacht mischt. Dasselbe Funkeln steht in seinen Augen, grau wie Kraniche in der Dämmerung, und in seinem dunklen Haar. Sarik selbst ist sich dessen ebenso wenig bewusst wie andere Leute sich ihrer Nasenspitze bewusst sind. Doch er wirkt ohnehin fehl am Platz und hätte überall so gewirkt, selbst als er nun stehenbleibt und die Arme weit ausbreitet, als wolle er die ganze Welt umarmen.
Eine Böe fegt wild über den Gipfel, erst hierhin, dann dorthin, und reißt ihm beinahe den Hut vom Kopf. Sie bringt eine Ahnung von Feuchtigkeit mit sich, ein paar Tropfen nur, und als die Dunkelheit wie Fischernetze über das Land fällt und sich ein gewaltiger Trommelwirbel von oben nähert, beenden die Zikaden ihr Spiel, und die Vögel stoßen einen letzten, angstvollen Ruf aus und ziehen die Köpfe ein.
Sarik legt den Kopf zurück und lacht.
Der Krieg der Wolkenschiffe hat begonnen. Eine Breitseite bläulicher Blitze schießt von West nach Ost und wieder zurück, und Donner rollt durch das Tal. Zwei der schwebenden Massive kollidieren: Ihre Rümpfe bersten mit ohrenbetäubendem Krach und entladen ihre Fracht, Tropfen groß wie Taubeneier, und legen einen undurchdringlichen Vorhang über die Welt.
Sarik steht ganz entspannt da, obwohl das Wasser überall ist. Es schlägt ihm in Strömen ins Gesicht und rinnt an ihm herab, wäscht in Sturzbächen den Sommerstaub von den Felsen. Es tränkt den Boden mit Träumen grünender Wiesen und reifer Früchte und füllt die Quellen und Bäche, macht sich auf seine weite Reise Richtung Meer.
Nach einer Weile mäßigt sich der himmlische Krieg. Der Platzregen lässt nach und wird erst zu einem milden Sommerschauer, dann versiegt er ganz, ebenso plötzlich, wie er gekommen ist. Die erschöpften Wolken, ihrer Last entledigt, hellen sich auf, um dann unter dem blendenden Ansturm der Sonne zu zerreißen. Geschlagen schweben sie davon und verlieren
Weitere Kostenlose Bücher