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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anette Göttlicher
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TEIL I
    DONNERSTAG, 8.   AUGUST 2002 – DIE ELEMENTARE FRAGE
    Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es eine Wiedergeburt? Ist meine Kreditkartenrechnung schon abgebucht? Nein, das sind sie nicht, die wirklich wichtigen Fragen. Heute qualifiziert sich nicht mal: Wo ist bloß das rosa T-Shirt mit dem Dalmatiner drauf?
     
    An diesem «für die Jahreszeit zu kühlen» Donnerstag stellt sich mir, Marie, 27, befindlich am Küchentisch, dritter Stock, Zweizimmerwohnung in München-Neuhausen, nur eine einzige Frage: Warum, verdammt, meldet sich der Kerl nicht? Es war doch so ein schöner Abend. Letzten Donnerstag. Hmpf. Ich habe keinen der Fehler gemacht, die ich sonst gerne begehe. Weder habe ich ihm nach dem ersten Bier erzählt, dass meine Tochter, die ich irgendwann haben werde, Franziska heißen soll, noch schwärmte ich ihm von Brad Pitt vor. Ich habe ihm nicht anvertraut, dass ich perlsacktierkaufsüchtig bin, und habe «Ich bin gleich wieder da» gehaucht statt «Ich geh mal pinkeln». Ich habe verschwiegen, dass ich mir manchmal Kantaten von Bach anhöre (was stimmt), und nebenbei erwähnt, dass ich jeden Tag die «Süddeutsche» lese (was nicht ganz stimmt). Ich war brillant. Ich habe ihm zugehört, ihn angemessen bewundert (was nicht schwer war, seufz), ihn zum Lachen gebracht und schließlich sogar dazu, dass er mich lustvoll, zärtlich und sehr, sehr lange küsste, mitten im belebten Biergarten. Obwohl mir danach gewesen wäre, habe ich ihn nicht in meine Wohnung verschleppt, sondern bin vorgegangen wie im «So angle ich mirden Traummann»-Ratgeber empfohlen: Ich habe Leidenschaft gezeigt (was nicht schwer war, seufz) und mich dann am Riemen gerissen. Ich war perfekt.
     
    Und warum ruft er jetzt nicht an?
     
    Ich werfe den Computer an, surfe zu Google und tippe Rat suchend ein: «Warum ruft er nicht an?» Hoppla. Treffer. Ich bin nicht die Einzige. Ich klicke mich durch Foren und stoße immer wieder auf das gleiche Muster. Frau trifft Mann, es ist schön, sie ist verknallt, er ruft nicht an. Lösung gibt’s keine. Nicht am Telefon warten, Anrufbeantworter einschalten und raus ins Vergnügen, lese ich da. Na ja, da wäre ich auch selbst noch drauf gekommen   … aber nichts ist so einfach im Zeitalter der Handys. Ehrlich gesagt, warte ich ja nicht mal auf einen Anruf. Viel schlimmer. Ich warte auf eine SMS. Eine Kurzmitteilung. Bis zu 160   Buchstaben, die meinen Tag, meine Woche, ach was, mein Leben! retten könnten. Das Handy (ich beginne es zu hassen) ist stumm gestellt, damit ich ab und zu draufgucken kann in der Hoffnung, das erlösende Briefumschlagssymbol zu erblicken.
     
    Warum meldet er sich nicht? Marie, es ist immer so, wie du es dir am wenigsten vorstellen kannst, sage ich mir. Also. Er ist verunglückt (Hilfe!). Er hat sich beide Arme gebrochen und kann deswegen sein Handy nicht bedienen. Sein Handy wurde gestohlen, ist runtergefallen, auf den Grund der Isar gesunken, hatte einen Kurzschluss. Er hat aus Versehen sein Telefonbuch gelöscht. Er musste beruflich spontan in die Serengeti, nach Grönland oder Thüringen und hat dort kein Netz. Seine Mutter, Schwester, beste Freundin oder sonst jemand ist tot, schwer erkrankt oder sonst was. Er hat ein Interview mit Verona Feldbusch geführt, sich unsterblich in sie verliebt und mich auf der Stelle vergessen. Er hat ein Interview mit David Beckham geführt,sich unsterblich in ihn verliebt, ist spontan schwul geworden und jetzt mit Becks zusammen. Nach einer Stunde ist sogar meine ausschweifende Phantasie am Ende, die 5-Minuten -Terrine ein kühler, klebriger Klumpen, und ich bin zutiefst besorgt. Dann fällt mir die einzige Lösung ein, die ich nicht bedacht habe. Er meldet sich nicht, weil er keine Lust dazu hat. Hmpf. Ich sollte mal das rosa T-Shirt mit dem Dalmatiner drauf suchen.

FREITAG, 9.   AUGUST 2002 – DAS NOTFALLPROGRAMM
    Heute Morgen erwachte ich nach einem diffusen Traum. Es spielten ein Hecken-Labyrinth, eine angebissene Käsesemmel und der Schlosser Bernbacher aus «Pumuckl» eine Rolle darin. Was will mir das sagen?? Na, egal. Jedenfalls ging mein erster Blick aus schlafverklebten Augen – natürlich – zum Handy. Und d-d-da w-w-war es: das Briefumschlagssymbol!!!
    Mit zitternden Händen hob ich die Tastensperre auf. Mein Puls gebärdete sich, als hätte ich gerade einen 80 0-Meter -Lauf in zwei Minuten hinter mich gebracht. Allerdings zählen für mich 800   Meter zur Langstrecke, und in zwei Minuten beschleunige ich höchstens

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