Das Licht Von Atlantis
Sogar in ihren eigenen Ohren klang es nach unsinnigen Phantasien. Ewigkeiten vergingen, in denen Domaris (oder Elis) sich über sie beugte und endlos wiederholte: »Weil du mir vertraust... du vertraust mir doch... tu es, weil du mir vertraust...« Ihr gebrochener Arm schmerzte sehr, das Fieber brannte, der Traum kam immer wieder und wieder - und nur in ihrem unruhigen Schlaf hörte sie ab und zu das kleine, affenähnliche Wesen, das Rivedas Tochter war, weinen.
Eines Morgens kam Deoris voll zu sich und fand sich in ihrem alten Zimmer im Tempel wieder. Die Fieberphantasien waren verschwunden und kehrten nicht zurück.
Elis pflegte sie Tag und Nacht so liebevoll, wie Domaris es getan hätte, und Elis berichtete ihr, dass Talkannon tot war, dass Karahama tot war, dass Domaris schon vor Wochen nach Atlantis abgesegelt und der Chela verschwunden war, niemand wusste wohin. Rivedas Kind war in der Nacht seiner Geburt gestorben.
Immer, wenn Deoris schlief, träumte sie - und stets den gleichen Traum: Sie lag in der dunklen Hütte, wo ihr Kind geboren war, und der Chela versuchte, sie gegen ihren Willen ins Leben zurückzuholen. Die rote Sonne schien ihm ins Gesicht, als er ihr Kind davontrug, eingehüllt in die blutbefleckten Fetzen von Karahamas Priesterrobe... So kam sie schließlich zu dem Glauben, es sei nie wirklich geschehen. Alle waren sehr freundlich zu ihr wie zu einem verwaisten Kind, und viele Jahre lang sprach sie den Namen ihrer Schwester nicht aus.
V. Tiriki
»Als das Universum aus dem Nichts erschaffen wurde, fiel es sogleich wegen mangelnden Zusammenhalts auseinander. Wie Tausende kleiner Mosaiksteine, die keinen offenkundigen Sinn oder Zweck haben, sind alle Stücke in Form und Größe identisch, obwohl sie sich in Farbe und Muster unterscheiden mögen, und wir haben von dem Mosaik kein Bild, das uns leiten könnte. Niemand weiß mit Sicherheit, wie es aussehen wird, bis das letzte Steinchen an der richtigen Stelle eingepasst ist... Für diese Aufgabe gibt es drei Werkzeuge: Vollständige Nichteinmischung, aktive Kontrolle über jede einzelne Bewegung und Austausch von Kräften, bis ein zufriedenstellendes Gleichgewicht erreicht ist. Es führt jedoch keine dieser Methoden zum Erfolg, wenn die beiden anderen nicht mit ihr in Einklang gebracht worden sind. Das müssen wir als grundlegendes Prinzip hinnehmen - sonst haben wir keine Erklärung für das, was bereits zu unserer Kenntnis gelangt ist.
Das Problem ist bisher ungelöst, aber wir machen Fortschritte in einzelnen Wellen. Einer Zunahme des allgemeinen Wissens folgt ein Rückschlag, bei dem Wissen verloren geht - nur um während der nächsten Welle neu erworben und verbessert zu werden. Denn der Unterschied zwischen jenem Mosaik und dem Universum ist, dass kein Mosaik je mehr werden kann als ein Bild, in dem jede Bewegung aufgehört hat - ein Bild des Todes. Wir arbeiten aber nicht auf eine Zeit hin, in der alles stillsteht, sondern auf eine Zeit, in der alles sich zur Freude der Betroffenen in Bewegung befindet - Fels, Pflanze, Fisch, Vogel, Säugetier und Mensch.
Das war nie eine leichte Arbeit und wird es nie sein. Aber die Straße, die in Hoffnung gebaut wird, ist dem Reisenden angenehmer, als die Straße, die in Verzweiflung gebaut wird - obwohl sie beide zum gleichen Bestimmungsort führen.«
Aus den Lehren Micons von Ahtarrath , aufgezeichnet von Rajasta dem Magier
1. DAS EXIL
Es herrschte schon tiefe Dämmerung, und die Brise im Hafen frischte zu einem Westwind auf, der die beschlagenen Segel leise klatschen und das Schiff im sanften Rhythmus der Wellen steigen und fallen ließ. Domaris sah zum Ufer hinüber, das nun schon fast im Dunkeln lag, und ihr weißes Gewand war wie ein leuchtender Fleck zwischen den schwarzen Schatten.
Der Kapitän verbeugte sich in tiefer Ehrerbietung vor der Initiierten. »Priesterin...«
Domaris hob den Blick. »Ja?«
»Wir werden gleich ablegen. Darf ich dich in deine Kabine führen? Die Bewegung des Schiffes könnte dich sonst krankmachen.«
»Ich danke dir, aber ich würde lieber an Deck bleiben.«
Der Kapitän verbeugte sich noch einmal, zog sich zurück und ließ sie allein.
»Auch ich muss dich jetzt verlassen, Isarma.« Rajasta wandte sich zur Reling. »Du hast deine Briefe und Empfehlungsschreiben. Es ist gut für dich gesorgt. Ich wünschte -« Er brach ab; seine Stirn legte sich in tiefe Falten. Zum Schluss sagte er nur: »Alles wird gut werden, meine Tochter. Friede sei mit dir.«
Sie neigte
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