Das Licht Von Atlantis
unruhig, als hätte er sich lieber aufgerichtet und im Stehen gesprochen. Ein seltsamer Ausdruck huschte jedoch über seine Züge, und er blieb sitzen. »Deoris, ich werde nicht mehr lange leben.«
»Du sollst so etwas nicht sagen!«
»Ich muss es dir aber sagen, kleine Schwester.« Eine Spur von Bedauern ließ die Stimme des Atlanters tiefer klingen.
»Ich werde - vielleicht - so lange am Leben bleiben, bis mein Sohn geboren ist. Und ich möchte sicher sein, dass Domaris - danach - nicht ganz allein ist.« Seine verkrüppelten, narbenbedeckten Hände berührten sanft ihre nassen Augen. »Weine nicht - ich habe dich sehr lieb, kleine Deoris, und ich bin überzeugt, dass ich dir Domaris anvertrauen kann...«
Deoris brachte kein Wort heraus und saß bewegungslos da. Wie gebannt blickte sie in Micons blinde Augen.
Mit Nachdruck fuhr der Atlanter fort: »Ich hänge nicht so an diesem Leben, dass es mir besonders schwer fiele, Abschied zu nehmen.« Er merkte, dass er sie verängstigte, und der schreckliche Ausdruck des Selbstspotts wich langsam von seinem Gesicht. »Versprich mir, Deoris, dass du für sie da sein wirst -« und er berührte ihre Lippen und ihre Brust mit einer merkwürdigen symbolischen Geste, die sie erst viele Jahre später verstehen sollte.
»Ich verspreche es«, flüsterte sie weinend.
Micon schloss die Augen und lehnte sich an den dicken Stamm des Baumes. Von Domaris zu sprechen, hatte ihn geschwächt und die eiserne Selbstkontrolle, mit der er sich am Leben hielt, gelockert. Ihm war angstvoll zumute. Deoris sah den Schatten auf seinem Gesicht, erschrak und sprang auf.
»Micon!« rief sie und beugte sich voller Furcht über ihn. Er hob den Kopf, die Stirn nass von Schweiß, und würgte ein paar Worte in einer Sprache hervor, die Deoris nicht verstand. »Micon«, sagte sie sanft, »ich kann dich nicht verstehen -«
»Da ist es wieder!« ächzte er. »In der Nacht des Nadir spürte ich, wie es nach mir fasste - etwas Böses, Tödliches -« Er stützte sich auf ihre Schultern, schwer, schlaff, mit Mühe atmend. » Ich will nicht! « schrie er, als antworte er einem unsichtbaren Wesen - und seine Stimme war hart und rau, völlig anders als sonst.
Deoris nahm ihn in die Arme, sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte. Plötzlich lastete sein ganzes Gewicht auf ihr. Er glitt nieder, beinahe ohnmächtig. Mit letzter Kraft versuchte er, bei Bewusstsein zu bleiben.
»Micon! Was soll ich tun?«
Von neuem versuchte er zu sprechen, und wieder hatte er die Beherrschung ihrer Sprache verloren. Er konnte nur abgerissene Sätze auf atlantisch murmeln. Deoris hatte große Angst und kam sich klein und hilflos vor. Natürlich hatte sie ein bisschen an Heilerausbildung genossen, aber auf so etwas war sie nicht vorbereitet - die Weisheit der Liebe hatte sie nicht in den Armen und ihre angestrengte Umklammerung tat Micons von Schmerzen geschütteltem Körper weh.
Stöhnend entwandt er sich ihr, versuchte es wenigstens. Er schwankte und wäre hingeschlagen, hätte das Mädchen ihn nicht krampfhaft festgehalten. Sie gab sich Mühe, ihn behutsamer zu fassen. Doch die Angst drückte ihr wie mit eisigen Fingern die Kehle zu. Micon sah aus, als sterbe er, und sie wagte nicht, ihn allein zu lassen, um Hilfe herbeizurufen. Das Gefühl ihrer eigenen Unzulänglichkeit machte ihr Entsetzen noch größer.
Plötzlich fiel ein Schatten über sie, und Deoris schrie leise auf. Dann nahmen andere Arme ihr Micons Gewicht von den jungen Schultern.
»Micon«, fragte Riveda mit fester Stimme, »wie kann ich dir helfen?«
Micon seufzte nur und verlor in den starken Armen des Graumantels das Bewusstsein. Rivedas Augen waren auf Deoris gerichtet. Mit einem strengen, scharfen Blick musterte er sie kühl, als wolle er sich vergewissern, dass sie nicht ebenfalls ohnmächtig wurde.
»Gute Götter«, brummte der Adept, »ist er schon lange in diesem Zustand?« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern stand auf und hob mühelos den schwachen Körper des Blinden hoch. »Am besten bringe ich ihn sofort in seine Wohnung. Gnädige Götter, der Mann wiegt ja nicht mehr als du! Deoris, komm mit mir; vielleicht braucht er dich.«
»Ich komme.« Deoris ließ sich nicht anmerken, wie peinlich es ihr war, dass sie Angst bekommen hatte. »Ich zeige dir den Weg.« Damit lief sie vor Riveda den Pfad hinauf.
Hinter ihnen kam Rivedas Chela, der seinen Meister suchte und einen trüben und leeren Ausdruck in den Augen hatte. Sie flackerten kurz
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