Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
erst einmal ruhig da?«, schlug Tom vor. »Und gewöhnen uns an alles.« Er seufzte. »Kleine Lucy. Nach all den Jahren.«
Schweigend tranken sie ihren Tee und lauschten dem Wind, der über das Meer heulte und hin und wieder eine Wolke beiseitefegte, sodass kurz ein Lichtstrahl durch das Fenster auf den Teppich fiel. Lucy atmete die Gerüche des Hauses ein: altes Holz, Kaminfeuer und Möbelpolitur. Sie wagte nicht, Tom anzusehen, sondern schaute sich lieber im Zimmer um. Eine Ikone, die den heiligen Michael darstellte. Eine Vase mit gelben Rosen. Ein Hochzeitsfoto von Tom und Isabel, auf dem sie strahlend jung und voller Hoffnung wirkten. Die Bücherregale waren voller Bände über Navigation, Leuchttürme und Musik. Einer, Brown’s Sternenatlas , war so groß, dass er nur liegend Platz fand. In der Ecke stand ein Klavier mit einem Notenstapel darauf.
»Wie hast du es gehört?«, fragte Tom nach einer Weile. »Das mit Isabel?«
»Mum hat es mir erzählt. Als du Ralph Addicott geschrieben hast, wie krank sie ist, hat er meine Mutter aufgesucht.«
»In Partageuse?«
»Inzwischen wohnt sie wieder dort. Als ich fünf war, ist sie mit mir nach Perth gezogen, um neu anzufangen. Sie ist erst nach Partageuse zurückgekehrt, als ich 1944 dem weiblichen Korps der Streitkräfte beigetreten bin. Offenbar hat sie sich bei Tante Gwen in Bermondsey, Opas Haus, wohlgefühlt. Ich bin nach dem Krieg in Perth geblieben.«
»Und dein Mann?«
Sie lächelte strahlend. »Henry! Eine Luftwaffenromanze … Er ist ein wunderbarer Mann. Wir haben vor einem Jahr geheiratet. Ich habe ja so ein Glück gehabt.« Sie blickte aufs Wasser hinaus. »Ich habe im Laufe der Jahre sehr oft an euch beide gedacht und mich gefragt, wie es euch geht. Aber ich …« Sie hielt inne. »Nun, erst als ich Christopher bekam, habe ich verstanden, warum ihr euch damals so verhalten habt. Und warum Mum euch nicht verzeihen konnte. Ich würde für mein Baby morden, das steht außer Frage.«
Sie strich ihren Rock glatt. »An einiges erinnere ich mich. Zumindest glaube ich das. Es ist ein wenig wie Bruchstücke aus einem Traum: das Licht natürlich, der Leuchtturm, und eine Art Balkon ringsherum, wie heißt der noch mal?«
»Galerie.«
»Ich weiß noch, wie ich auf deinen Schultern gesessen habe. Und das Klavierspielen mit Isabel. Und dann noch etwas mit Vögeln in einem Baum und dass ich mich von dir verabschieden sollte. Ab da vermischt sich alles irgendwie, und ich habe das meiste vergessen. Dann kamen das neue Leben in Perth und die Schule. Aber am deutlichsten erinnere ich mich an den Wind, die Wellen und das Meer. Das habe ich einfach im Blut. Mum mag das Wasser nicht. Sie geht nie schwimmen.« Sie sah das Baby an. »Ich konnte nicht früher kommen. Wahrscheinlich musste ich darauf warten, dass Mum … nun, wahrscheinlich dass sie mir ihren Segen gibt.«
Als Tom Lucy beobachtete, erhaschte er einen Blick auf ihr Kindergesicht. Allerdings war es schwierig, die Frau mit dem kleinen Mädchen in Einklang zu bringen. Genauso schwierig, wie es in den ersten Minuten gewesen war, den jungen Mann in sich wiederzufinden, der sie früher so sehr geliebt hatte. Und dennoch, dennoch war die Erinnerung an ihr Stimmchen so klar, das rief: »Dadda! Ich will auf deinen Arm, Dadda!«
»Sie hat dir etwas hinterlassen«, sagte er und ging zur Schatulle. Er griff hinein, nahm den Umschlag und reichte ihn Lucy-Grace, die ihn eine Weile in der Hand hielt, bevor sie ihn öffnete.
Meine liebste Lucy,
es ist lange her, so lange, dass ich versprochen habe, Dir nicht mehr zu nahe zu kommen. Und ich habe mein Wort gehalten, so schwer es mir auch gefallen ist.
Nun bin ich fort, was der Grund ist, weshalb Du diesen Brief erhältst. Und das macht mich froh, weil es bedeutet, dass Du zu uns gekommen bist. Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben, dass Du es eines Tages tun würdest.
In der Kiste bei den Briefen liegen auch noch einige Dinge aus Deiner frühen Kindheit: Dein Taufkleid, Deine gelbe Decke, ein paar Bilder, die Du als Kleinkind gemalt hast. Und dann auch die Sachen, die ich für Dich im Laufe der Jahre genäht habe – Wäsche und so weiter. Ich habe sie für Dich aufbewahrt, Gegenstände aus dem vergessenen Teil Deines Lebens. Nur für den Fall, dass Du sie sehen möchtest.
Inzwischen bist Du eine erwachsene Frau. Hoffentlich war das Leben gut zu Dir. Außerdem hoffe ich, Du kannst mir verzeihen, dass ich Dich behalten habe. Und dann losgelassen.
Vergiss nicht,
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