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Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. L. Stedman
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Kameraden, die neben ihm gestanden und ihm auf die eine oder andere Weise das Leben gerettet haben. An die, deren letzte Worte er gehört hat, und die, deren wirres Gestammel er nicht verstehen konnte. Aber er hat trotzdem genickt.
    Tom gehört nicht zu den Männern, deren Beine nur noch von Sehnen am Körper gehalten wurden oder denen die Eingeweide wie glitschige Aale aus dem Leib quollen. Seine Lunge und sein Gehirn sind nicht vom Gas aufgeweicht worden. Doch er trägt dennoch Narben mit sich herum, denn er muss in der Haut des Mannes weiterleben, der das getan hat, was damals nötig war. Es ist ein Schatten, der nach innen fällt.
    Er gibt sich Mühe, darüber nicht ins Grübeln zu geraten. Er hat nämlich viele Männer erlebt, die sich auf diese Weise selbst verloren haben. Also lebt er weiter am Rande dieses Gefühls, für das er keinen Namen hat. Wenn er von jenen Jahren träumt, ist der Tom, der sie durchlebt und Blut an seinen Händen hat, ein etwa achtjähriger Junge. Ein kleiner Junge, der sich gegen Männer mit Gewehren und Bajonetten zur Wehr setzen muss und dem es zu schaffen macht, dass die Kniestrümpfe seiner Schuluniform verrutscht sind und er sie nicht hochziehen kann, weil er dazu sein Gewehr fallen lassen müsste. Und dabei ist er ohnehin kaum groß genug, um es zu tragen. Außerdem kann er seine Mutter nirgendwo entdecken.
    Wenn er dann aufwacht, ist er an einem Ort, wo man nur Wind und Wellen und den komplizierten Apparat hört, der die Flamme am Brennen hält und dafür sorgt, dass die Lampe sich dreht, sich unablässig dreht und sich dabei selbst über die Schulter schaut.
    Wenn er nur genug Abstand hält – von Menschen und von seinen Gedanken –, wird die Zeit die Wunden heilen.
    Janus Rock liegt viele tausend Kilometer weit entfernt an der Westküste und ist der Punkt auf dem Kontinent, der die größte Entfernung von Toms Heimatstadt Sydney hat. Allerdings ist der Leuchtturm von Janus Rock auch das letzte Stück Australien, das er gesehen hat, als sein Truppentransporter 1915 nach Ägypten aufbrach. Der Geruch des Eukalyptus war noch viele Kilometer vor der Küste von Albany wahrzunehmen gewesen, und als er verflog, hat Tom plötzlich schmerzhaft den Verlust einer Sache empfunden, von der er gar nicht wusste, dass man sie vermissen konnte. Dann, Stunden später, kam, klar und deutlich, die Lampe mit ihren fünfsekündlichen Lichtblitzen in Sicht. Der letzte Außenpunkt seiner Heimat, und die Erinnerung daran hielt sich wie ein Abschiedskuss während der jahrelangen Hölle, die darauf folgte. Als Tom im Juni 1920 erfuhr, dass auf Janus Rock dringend eine Stelle besetzt werden musste, war es, als hätte der Leuchtturm selbst ihn gerufen.
    Janus Rock, am Rand der Kontinentalplatte gelegen, war kein beliebter Einsatzort. Der Schwierigkeitsgrad eins sorgte zwar für eine leichte Gehaltserhöhung, doch nach Auffassung alter Hasen lohnte es sich für das bisschen Geld bei dieser jämmerlichen Bezahlung dennoch nicht. Der Leuchtturmwärter, den Tom ablöste, hieß Trimble Docherty. Er hatte einiges Aufsehen mit seiner Meldung erregt, seine Frau sende Signale an vorbeifahrende Schiffe, indem sie die bunten Flaggen des internationalen Codes zu Botschaften zusammenfügte. Das missfiel den Behörden aus zwei Gründen: Erstens hatte der stellvertretende Leiter der Leuchtturmbehörde vor einigen Jahren das Signalisieren mit Flaggen auf Janus verboten, da die Schiffe sich in Gefahr brachten, wenn sie nah genug herankamen, um die Nachrichten zu entziffern. Und zweitens war die fragliche Ehefrau vor kurzer Zeit verstorben.
    Dies führte zu einem regen Schriftwechsel in dreifachem Durchschlag zwischen Fremantle und Melbourne. Der stellvertretende Amtsleiter in Fremantle verwandte sich für Docherty und lobte seine langjährigen und treuen Dienste, während man in der Zentrale nur den reibungslosen Ablauf, die Kosten und die Vorschriften im Blick hatte. Also wurde ein Kompromiss geschlossen, indem man für sechs Monate einen Leuchtturmwärter zur Aushilfe einstellte und Docherty in dieser Zeit krankschreiben ließ.
    »Für gewöhnlich schicken wir keinen ledigen Mann nach Janus. Die Insel ist ziemlich abgelegen, weshalb eine Frau und eine Familie nicht nur ein Trost, sondern auch eine praktische Hilfe wären«, meinte der Bezirksleiter zu Tom. »Aber da es ja nur vorübergehend ist … Sie brechen in zwei Tagen nach Partageuse auf«, fügte er hinzu und stellte einen Vertrag mit sechsmonatiger Laufzeit

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