Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
Partageuse die unausgesprochene Überzeugung vor, dass die wirklich wichtigen Dinge sich anderswo ereigneten. Neuigkeiten von der Außenwelt trafen tröpfchenweise ein wie Regenwasser, das aus Baumkronen herabrieselt: ein Gesprächsfetzen hier, ein Gerücht dort. Als 1890 eine Telegrafenleitung installiert wurde, beschleunigte sich die Nachrichtenübermittlung ein wenig, und inzwischen besaßen einige Leute sogar Telefon. 1899 hatte die Stadt Soldaten nach Transvaal geschickt und einige Männer verloren. Doch im Großen und Ganzen war das Leben in Partageuse eher eine Randerscheinung. Hier konnte weder etwas Schlimmes noch etwas Wundervolles geschehen.
Natürlich ging es in anderen Städten im Westen weniger beschaulich zu. In Kalgoorlie, einige hundert Kilometer im Landesinneren, verbargen sich unter dem Wüstenboden unterirdische Goldströme. Dort zogen Männer mit Schubkarren und Goldpfanne umher und fuhren in Automobilen, bezahlt mit einem Nugget so groß wie eine Katze, herum. Dass einige Straßen Namen wie »Croesus« trugen, war nur halb ironisch gemeint. Die ganze Welt wollte, was Kalgoorlie hatte. Das Angebot in Partageuse – Bauholz und Sandelholz – war verglichen damit Kinderkram und nichts, womit man das große Geld machen konnte.
Dann, 1914, änderte sich alles. Denn Partageuse stellte fest, dass es auch hier etwas gab, was die Welt brauchte: Männer. Junge Männer. Männer, die gut in Form waren. Männer, die ihr Leben damit verbracht hatten, eine Axt zu schwingen, einen Pflug zu führen und sich körperlich anzustrengen. Männer, die sich also ausgezeichnet dazu eigneten, auf den taktischen Altären am anderen Ende des Erdballs geopfert zu werden.
1914 drehte sich alles noch um Flaggen und nach neuem Leder riechende Uniformteile. Aber schon ein Jahr später sahen die Dinge allmählich anders aus. Man war plötzlich keine Randerscheinung mehr, denn anstatt ihre geliebten kerngesunden Ehemänner und Söhne zurückzubekommen, erhielten die Frauen Telegramme. Die kleinen Papierstücke fielen entsetzten Angehörigen aus den Händen und wurden vom peitschenden Wind davongeweht. Und in diesen Telegrammen hieß es, dass der Junge, den man gestillt, gebadet und getadelt und der einen oft zum Weinen gebracht hatte … nun, dass es ihn nicht mehr gab. Partageuse fand zwar erst spät Anschluss an die Welt, dafür aber auf eine sehr schmerzliche Weise.
Natürlich kam es öfter vor, dass Menschen ein Kind betrauern mussten. Es hatte noch nie eine Garantie dafür gegeben, dass eine Empfängnis auch zu einer Lebendgeburt führte oder dass diese Geburt ein langes Leben zur Folge haben würde. Die Natur gewährte nur den Starken und vom Glück Gesegneten Anteil an diesem jungen Paradies. Um das zu erkennen, brauchte man nur einen Blick auf die Innenseite des Buchdeckels einer x-beliebigen Familienbibel zu werfen. Auch die Friedhöfe berichteten von Kleinkindern, deren Stimmen nach einem Schlangenbiss, einem Fieber oder einem Sturz aus dem Wagen endlich dem Flehen ihrer Mütter um Ruhe nachgegeben hatten. Die überlebenden Kinder gewöhnten sich daran, bei Tisch ein Gedeck weniger aufzulegen, genauso wie sie klaglos zusammenrutschten, wenn ein neues Geschwisterchen zur Welt kam. Wie man auf Weizenfeldern mehr Körner verstreut, als je Wurzeln schlagen können, schien Gott überzählige Kinder zu verteilen und sie nach einem unerklärlichen göttlichen Kalender dahinzuraffen. Der Friedhof der Stadt erzählte wahre Geschichten, und die Grabsteine dort, von denen sich manche wie lockere, schmutzige Zähne zur Seite neigten, sprachen offen von Leben – zu früh niedergestreckt von der Grippe, Ertrinken, Unfällen beim Holzfällen und sogar Blitzschlägen. Nach 1915 begannen die Grabsteine jedoch zu lügen. Jungen und Männer aus dem Bezirk starben wie die Fliegen, und dennoch schwiegen die Friedhöfe.
Die Wahrheit war, dass die jungen Toten irgendwo in der Fremde im Schlamm lagen. Die Behörden taten ihr Bestes: Wenn die Umstände und die Lage auf dem Schlachtfeld es gestatteten, wurden Gräber ausgehoben. War es möglich, Gliedmaßen zusammenzusetzen und sie einem bestimmten Soldaten zuzuordnen, gab man sich große Mühe und beerdigte den Toten mit einer Art Trauerfeier. Verzeichnisse wurden angelegt. Später machte man Fotos von den Gräbern, und für die Summe von zwei Pfund, einen Shilling und Sixpence konnte die Familie eine offizielle Gedenkplakette kaufen. Noch später schossen dann die Kriegerdenkmäler
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